Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
ernsten Nicken. Fragen lagen ihr zitternd auf der Zunge, aber sie hielt sie zurück. Sie war nicht so sicher, ob sie die Antworten wirklich wissen wollte.
In den nächsten Tagen hing eine dunkle Wolke über Brightwell Court und es war kein fröhlicher Ort mehr. Judith Howe kehrte mit schwarzen Kleidern aus Wolle, Seide und Chinakrepp zu tiefer Trauer zurück. Eine Horde von Männern in schwarzen Mänteln, schwarzen Hüten und Armbinden ließ sich wie ein Schwarm Krähen auf Brightwell Court nieder. Mr Tugwell kam mehrere Male vorbei, drückte Hände und murmelte sowohl der Familie als auch der Dienerschaft Worte des Beileids zu.
Zur Vorbereitung der Trauerzeit bestellte Judith Howe in Miss Ludlows Laden ein schwarzes Kleid für Audrey. In der Zwischenzeit nähte Olivia einige Zentimeter schwarze Spitze an den Saum von Audreys einzigem schwarzen Kleid, um es für das Mädchen passend zu machen, das seit dem Tod seines Vaters ein Stück gewachsen war. Sie entfernte auch die glänzenden Zierschnallen von Andrews schwarzen Schuhen und ersetzte die vergoldeten Knöpfe an seinen dunklen Jacken durch einfache schwarze.
Die Kinder würden am eigentlichen Begräbnis nicht teilnehmen, sollten sich aber davor der versammelten Gesellschaft anschließen. Als Olivia die Kinder nach unten brachte, um sie im Empfangszimmer abzugeben, hörte sie von drinnen das leise Summen gedämpfter Unterhaltung. Dort aßen die Trauergäste kaltes Fleisch und Pastete und teilten Erinnerungen an die Vergangenheit und Fragen über die Zukunft.
Im Gang stand Felix. Er trug die schwarzen Handschuhe und den Schal der Sargträger. Er begrüßte sie und die Kinder mit einer ernsten Verbeugung, und ausnahmsweise verzichtete er auf seine flirtenden Sprüche und Blicke, wofür Olivia dankbar war. Von Miss Peale hatte Olivia erfahren, dass Felix und Judith als Kinder sehr viel Zeit in Brightwell Court verbracht hatten – ohne ihre Eltern – und es war offensichtlich, dass sie der Verlust ihrer Tante sehr schmerzte. Mit dem unsicheren, kummervollen Ausdruck auf seinem Gesicht ähnelte er sehr stark dem kleinen Jungen, der er einmal gewesen sein musste.
Olivia würde natürlich weder dem Gottesdienst in der Kirche noch dem Begräbnis beiwohnen. Aber vom Kinderzimmerfenster aus beobachtete sie, wie sich der Leichenwagen und die Trauernden in einem langsamen Zug zu St. Mary’s bewegten. Später konnte sie sehen, wie die Prozession der Trauerkutschen die Zufahrt verließ, um sich auf den Weg zum Familiengrab der Estcourts zu machen. Die Pferde waren von schwarzem Samt umhüllt und trugen schwarze Federn auf ihren Köpfen.
Olivia hörte die Kirchenglocke sechs Mal schlagen – zum Zeichen, dass eine Frau gestorben war. Nach einer Pause folgte dann ein Läuten für jedes Lebensjahr von Lady Brightwell. Die langsame regelmäßige Abfolge der Töne ging Olivia zu Herzen, und lang, nachdem das letzte Echo verklungen war, betete sie noch immer um Trost für Lord Brightwell und seinen Sohn.
18
Wenn eines der Dienstmädchen schwanger wurde, stellte Pfarrer Woodforde sie nach Ablauf ihrer jährlichen Anstellung nicht wieder ein. Er gab ihr jedoch vier Schillinge zusätzlich, wenn sie »wegging«, um ihren Lohn aufzubessern.
Pamela Horn, Einführung zu The Complete Servant
Während Edward an einem stillen Januarabend mit seinem Vater in der Bibliothek saß, las er noch einmal die kurze, bedrohliche Nachricht, die sein Vater ihm am Vorabend dieser unglücklichen Reise nach Italien gezeigt hatte.
Ich kenne Ihr Geheimnis. Sagen Sie es ihm, oder ich werde es tun.
Die Handschrift war zierlich und gleichmäßig. Vielleicht absichtlich einfach und ungeschmückt? Wer hat das geschrieben? , fragte er sich zum tausendsten Mal. Ganz zu schweigen von den qualvollen Stunden, die er damit zugebracht hatte, über die weitreichenden Folgen nachzudenken.
Er hatte auf den richtigen Moment gewartet, um das Thema noch einmal zur Sprache zu bringen. Und jetzt, als sein Vater zu Hause und eine Woche seit der Beerdigung vergangen war, glaubte er, nun sei der richtige Moment gekommen.
Er schaute auf, als sein Vater etwas über die Parlamentsnachrichten in der Morgenpost murmelte. Der Earl faltete die Zeitung zusammen und sagte: »Nachdem es um die Gesundheit deiner Mutter im vergangenen Jahr so schlecht bestellt war, konnte ich mich problemlos von dieser Sitzung befreien lassen. Wie froh bin ich jetzt darüber!«
Lord Brightwell erhob sich und schenkte sich ein Glas
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