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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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Keene?«
    Sie begegnete seinem Blick ungerührt und gab sich große Mühe, keine Gefühle zu zeigen.
    »Obwohl man es bei Ihrem Anblick nicht meinen würde«, sagte er mit trockenem Humor, »scheint mein Vater zu denken, Sie wären eine recht mitfühlende junge Frau. Was haben Sie gestern Abend zu ihm gesagt?«
    Sie starrte ihn verblüfft an.
    »Ja, er hat uns erzählt, dass Sie mit ihm gesprochen haben. Judith versicherte ihm, er müsse völlig verstört gewesen sein – sich das eingebildet haben –, denn Sie seien eine Taubstumme .«
    Das letzte Wort ließ er sich schadenfroh auf der Zunge zergehen.
    »Verraten Sie mir, was Sie zu ihm gesagt haben, um so einen Eindruck auf ihn zu machen.«
    Olivia runzelte die Stirn. Sie war genauso verwirrt über die angebliche Reaktion des Earls, wie es Lord Bradley offensichtlich war.
    »Ich habe nichts weiter gesagt, als dass es mir leid tut.«
    Er hob eine Braue. »Was noch?«
    »Nichts.« Sie zerbrach sich den Kopf, um sich weitere Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen.
    Plötzlich trat ein seltsames Leuchten in seine Augen. »Gut, dann frage ich Sie, was Sie getan haben. Zeigen Sie es mir. Zeigen Sie mir, was Sie taten, was Sie sagten und wie Sie es sagten.«
    Sie schnaubte hilflos. »Aber das kann ich nicht! Er kam herein und ich war völlig überrumpelt. Der Schmerz in seinem Gesicht war so verheerend und die Liebe zu Ihrer Mutter so offensichtlich, dass ich nicht anders konnte. Es war völlig spontan. Ich habe nicht nachgedacht –«
    Er umrundete den Schreibtisch und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. »Zeigen Sie es mir.«
    »Aber Sie sind nicht –« Sie unterbrach sich, als ein plötzlicher Schmerz in ihrer Brust aufstieg. Wie konnte es ihr ein Anliegen sein, sich zu verteidigen, wenn seine Mutter gerade gestorben war. Die einzige Mutter, die er je gekannt hatte. Sie wusste, wie es war, eine Mutter zu lieben und zu vermissen. Es war ein Schmerz, der sie ständig begleitete.
    Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Der Mann vor ihr zeigte sich so hart und so unnahbar, aber innerlich war er nichts weiter als ein kleiner Junge, der gerade seine Mama verloren hatte.
    Edward sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte und starrte sie wie gebannt an. Als sich ihre Augen mit Tränen füllten, zog sich seine Brust zusammen und seine eigenen Augen brannten. Er beobachtete schweigend, wie sie näher trat und vor ihm stehen blieb, die Augen weit geöffnet, das Gesicht blass und voller Schmerz. Sie legte ihre schlanken Finger auf seine Hand und zog sie zwischen ihre beiden Hände, umhüllte sie mit ihrer warmen Berührung.
    Erschüttert holte Edward Luft.
    »Es tut mir leid, Mylord«, flüsterte sie und ihre Augen bohrten sich in seine. »Es tut mir so leid.«
    Edward versank in ihren strahlend blauen Augen. Er fand Schönheit und Mitgefühl dort, Trost und Frieden. Einen Moment lang vergaß er seinen Vater, seine Mutter, alles um ihn her.
    Als er sich weder bewegte noch ein Wort sagte, legte Miss Keene ihre weiche Wange an seine Hand. Edward betrachtete ihr liebliches Profil und seine freie Hand bewegte sich von ganz allein, als wolle er ihr übers Haar streichen. Er konnte dem Impuls kaum widerstehen.
    »Es muss so schwer für Sie sein, dass Sie Ihre Mutter verloren haben«, murmelte sie.
    Sofort stand er unter Anspannung. Dies war kein Trick gewesen, um ihr Mitgefühl zu gewinnen. Er brauchte weder Beileid noch Zuwendung von einer Bediensteten, und wäre sie noch so hübsch.
    Er richtete sich auf und sagte streng: »Wir sprachen nicht von mir.«
    Schnell ließ sie seine Hand fallen und trat zurück, unfähig, ihm in die Augen zu sehen und offensichtlich peinlich berührt, in so eine intime Situation geraten zu sein – was sie sich selbst zuzuschreiben hatte.
    Er würde sich nichts davon anmerken lassen, wie sehr ihn ihre Nähe berührt hatte. Er würde sich nicht so von ihr überwältigen lassen wie sein Vater. »Ich muss schon sagen«, setzte er an und hoffte, seine Stimme würde nicht verräterisch schwanken, »ich bin sehr beeindruckt von Ihren schauspielerischen Fähigkeiten. Sie hätten sicher eine große Zukunft auf der Bühne, falls Sie das wollten. Ich verstehe jetzt, warum mein Vater von Ihnen eingenommen war – von einer Frau, die halb so alt ist wie er und sich ihm an den Hals geworfen hat.«
    »So war es nicht.«
    »Und Sie haben mit ihm gesprochen!«
    »Ich konnte nicht anders, ich –«
    »Mit wie vielen anderen haben Sie sonst noch

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