Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
seine Hände. »Tatsächlich gab es eine Zeit, da hätte ich sie gern geheiratet. Aber mein Vater erlaubte es nicht. Letzten Endes hatte er wohl recht, denn Marian und ich sind im Lauf der Jahre gut miteinander zurechtgekommen. Aber damals hat es mich sehr frustriert, dass ich Dorothea aufgeben musste.« Er schüttelte den Kopf und lachte leise über eine Erinnerung. »Dorothea und ich hatten sogar schon über Namen für unsere zukünftigen Kinder gesprochen. Unser Sohn sollte Stanton heißen, nach meinem Großvater, und unsere Tochter wollten wir Olivia nennen, nach mir. Eitel, ich weiß.«
»Nach Ihnen?« Olivia kräuselte die Stirn.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Mein Name ist Oliver, wussten Sie das nicht?«
Sie sog hörbar die Luft ein und schüttelte schweigend den Kopf.
»Oliver Stanton Bradley, Lord Brightwell.«
Was will er damit sagen? , fragte sie sich. Meint er etwa …? Solche unglaublichen Fragen konnte sie nicht aussprechen. Stattdessen machte sie einen schwachen Versuch, einen leichteren Ton anzuschlagen. »Es scheint, als hätten Sie Ihre Meinung geändert, Mylord, denn Ihr Sohn heißt nicht Stanton.«
Aber er lächelte nicht und antwortete nicht mit einer amüsanten Anekdote, wie seine Frau den von ihm gewählten Namen mit einem eigenen Lieblingsnamen übertrumpft hatte. Stattdessen zog er die Brauen zusammen und murmelte: »Nein. Edward war nicht meine Wahl.«
Sein düsterer Ton lud nicht zu weiteren Nachfragen ein. Der Earl schaute zur Seite und sein Blick verlor sich durch die verregneten Fensterscheiben hindurch in alten Erinnerungen.
Olivia starrte ins Feuer und hing eigenen Gedanken nach. Was wäre, wenn …? So etwas von ihrer Mutter und von ihr selbst zu denken, ließ Olivias Ohren erröten und beschämte ihr Herz. Es würde allerdings das Verhalten ihres Vaters erklären. Und wenn er erst später davon erfahren hatte, wäre das dann kein plausibler Grund dafür, dass die Verbindung, die sie in der frühen Kindheit mit ihm gehabt hatte, zerbrochen war? Oder verachtete er sie nur, weil sie bei diesem schrecklichen Wettrechnen verloren hatte? Weil er dadurch sein Geld und die Achtung der anderen verloren hatte, so wie sie es lang geglaubt hatte? Ja, das war weitaus leichter zu glauben. Denn selbst wenn ihre Mutter Olivias Namen im Gedenken an eine frühere Liebe gewählt hatte, bedeutete das nicht zwingend … etwas anderes.
Einige Momente saßen sie so da, schweigend und gedankenverloren. Doch bald fielen Zweifel wie tosende Wellen über Olivia her. »Wie lange ist es her, Mylord, seit Sie meine Mutter das letzte Mal, äh, gesehen haben?«
Lord Brightwell dachte nach. »Du liebe Güte … Kann das schon sechsundzwanzig Jahre her sein? Ja, es muss ungefähr so lange oder noch länger her sein.«
Olivia fühlte sich zu gleichen Teilen erleichtert, rehabilitiert und reumütig, als sie flüsterte: »Ich bin noch keine fünfundzwanzig.«
Er nickte nachdenklich. »Natürlich kann es sein, dass ich mich vertan habe. Mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es einmal war. Das Gleiche gilt für meine Rechenkünste.« Er nahm ihren Anblick in sich auf und lächelte gerührt. »Sie ähneln ihr so, meine Liebe.«
Auch Olivias Augen füllten sich mit Tränen. Sie rannen ihr über die Wangen. Olivia ergriff seine Hand.
Edward klopfte kurz und deutlich an die Tür. Ohne auf eine Reaktion zu warten, drückte er sie auf und marschierte ins Zimmer. Dann stockte er, überrascht, seinen Vater und Miss Keene in vertrautem Gespräch, händehaltend am Kamin sitzen zu sehen. Sein Herz sank, während sein Zorn wuchs.
»Es tut mir leid, dein Tête-à-tête zu unterbrechen, Vater«, sagte er in bitterem Ton. Insgeheim fügte er hinzu: Und das so schnell nach Mutters Tod!
»Edward, du wirst nie erraten –«
»Gib mir eine Chance«, blaffte er.
Er bemerkte, dass Miss Keene die Hand des Earls mit bittendem Blick drückte, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sein Vater hob eine Braue und sie schüttelte den Kopf, nein .
Edward beobachtete diesen geheimen Austausch missbilligend. »Was denn nun?«, knurrte er.
Der Earl zögerte und sagte dann: »Miss Keene und ich haben eine gemeinsame Bekannte entdeckt.«
»Ach ja?« Edward bezweifelte, dass eine solche Tatsache, falls sie wahr wäre, der Grund für so eifriges Händchenhalten sein könnte. Als keiner der beiden Anstalten machte, ihm nähere Einzelheiten zu verraten, sagte er barsch: »Walters ist bereit, die Haushaltsbücher durchzusehen,
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