Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
verteidigte, war sie froh, sich in die Küche flüchten zu können.
Dort hob Mrs Moore den Blick von ihrem Kochbuch und richtete sich auf. »Liv – Miss Keene. Ich bin überrascht, Sie zu sehen.«
Olivia seufzte. »Ich habe befürchtet, ich wäre nicht willkommen bei Ihnen. Ich bin bei niemandem mehr willkommen, wie es scheint.«
»Aber, aber, meine Liebe. Das ist kein Grund, den Märtyrer zu spielen. Ich freue mich, Sie zu sehen, aber Gouvernanten kommen normalerweise nicht ins untere Stockwerk.«
»Aber ich bin keine normale Gouvernante, nicht wahr?«
»Ganz sicher nicht. Mir ist noch nie eine so kluge und freundliche Gouvernante begegnet.« Mrs Moores Augen funkelten.
Olivia lächelte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich ein paar Minuten bei Ihnen sitze?«
Mrs Moore klopfte auf den Hocker neben sich. »Ein einsames Leben, nicht wahr? Sie haben nur die Kleinen und Miss Peale um sich.«
Olivia nickte. »Mit Miss Peale kann man nicht so gut reden. Sie spricht meistens nur von ihren Erinnerungen an früher. Erzählt Geschichten über Lord Bradley aus seiner Kinderzeit.«
»Ist das nicht unterhaltsam?«
»Ein wenig. Aber nicht das Gleiche, wie sich mit Ihnen zu unterhalten.« Sie drückte die mollige Hand der liebenswerten Köchin.
Mrs Moore zwinkerte. »Was Sie nicht alles sagen, um einen Zitronenkeks von mir zu bekommen!«
Auf ihrem Weg zurück nach oben lief Olivia Judith Howe direkt in die Arme. Die Frau schaute von der Tür, durch die Olivia gerade herausgekommen war, auf Olivias zweifellos verräterisch rot angelaufenes Gesicht.
»Miss Keene, ich weiß, dass Sie eine Weile lang Teil der Dienerschaft waren, aber ich hatte gehofft, dass diese Erfahrung sich nicht tief bei Ihnen eingeprägt hat. Mir ist bewusst, dass Sie noch nie zuvor Gouvernante waren, deshalb erlauben Sie mir, Sie über die Gepflogenheiten aufzuklären.«
Olivia schluckte. Während sie Mrs Howes Vortrag zuhörte, wurde ihr klar, dass dies ihr letzter Besuch bei der lieben Mrs Moore gewesen war.
25
Auf dem unteren See wimmelt es jetzt von Eisläufern und von Damen, die sich in ihren Eiskutschen von ihnen ziehen lassen. Gewiss war Merkur der erste Schöpfer von Schlittschuhen.
S. T. Coleridge, The Friend, 1809
An einem Nachmittag im Februar betrat Edward das Schulzimmer, als Miss Keene und die Kinder, dick verpackt in Mäntel, Mützen, Schals und Handschuhe, gerade im Begriff waren, nach draußen zu gehen.
»Wohin wollt ihr denn?«
»Wir gehen eislaufen«, antwortete Audrey. »Komm doch mit!«
»Eislaufen? Ich hab mir seit Jahren keine Kufen mehr angeschnallt.«
Andrew zog an seiner Hand. »Ach, bitte, Cousin Edward, komm doch mit.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo meine alten Schlittschuhe sein könnten.«
Triumphierend zog Miss Keene die größten Kufen aus der Truhe und hielt sie ihm hin.
»Was für ein … Glück«, brummte er.
Ein paar Minuten später war Edward mit Biberhut, Mantel und Handschuhen genauso eingemummt wie die Kinder. Er führte die kleine Truppe an, als sie durch den Schnee ins Dorf und dann den viel genutzten Pfad zur Mühle entlangmarschierten. Er erklärte, dass der Müller jedes Jahr Wasser vom Mühlengraben umleitete, um einen Schlittschuhweiher hinter der Mühle zu füllen.
»Sehr zuvorkommend von ihm«, sagte Miss Keene.
Edward dachte nach. »Das stimmt vermutlich. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht.«
Ein alter Mühlstein diente ihnen als Bank, als Miss Keene Audrey half, die Kufen an ihre Halbstiefel zu schnallen, während Edward Andrew dabei unterstützte.
»Warte auf mich, Andrew, dann komme ich mit und helfe dir«, rief Miss Keene und zog Audreys letzten Riemen stramm.
Edward bemerkte die Kufen, die noch auf dem Mühlstein lagen. »Wollen Sie nicht auch eislaufen, Miss Keene?«
»Oh nein, Mylord. Ich glaube nicht, dass das schicklich wäre. Ich habe dieses Paar nur als Ersatz mitgebracht, falls irgendjemand ein Riemen reißt.« Sie ließ den Blick über die wenigen Eisläufer auf dem Teich schweifen. »Außerdem habe ich in meinen Schuhen einen festeren Halt und kann so viel besser eine stützende Hand reichen.«
»Das ist aber nicht fair von Ihnen«, erwiderte er in gespieltem Ernst. »Sie bestehen darauf, dass ich mitkomme, und dann reden Sie sich heraus? Kommen Sie schon. Was vielleicht in London oder in Ihrer sittsamen Mädchenschule nicht schicklich ist, ist hier vollkommen in Ordnung.«
»Ich … Na gut, ich werde es versuchen.«
»Das
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