Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
nicht weh, wie man so sagt.« Er zog eine Zigarre aus der Jackentasche. »Jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Diese Zigarre schreit danach, angezündet zu werden, aber meine Schwester verbietet mir, im Haus zu rauchen.« Er drehte sich um und hielt dann inne, um hinzuzufügen: »Es war mir ein Vergnügen, Miss Keene, wie immer, obwohl ich fürchte, dass ich das Gespräch genauso schamlos dominiert habe wie in der Zeit, als Sie stumm waren.«
Am nächsten Morgen bat Edward Miss Keene mit einer Handbewegung in sein Studierzimmer und schloss die Tür hinter ihr. Er begann ruhig: »Miss Keene, ich möchte Sie bitten, vorsichtig zu sein, mit wem Sie reden.«
»Meinen Sie Mrs Howe?«
Er runzelte die Stirn. »Nein, ich meine Felix. Mir ist aufgefallen, wie Sie beide … miteinander … sprechen.«
Sie straffte die Schultern. »Mir ist doch jetzt gestattet zu sprechen, oder nicht?«
Er schürzte die Lippen. »Ja, und Sie machen offensichtlich großen Eindruck auf ihn, aber …« Er trat einen Schritt näher und senkte die Stimme. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Miss Keene, aber Sie sind nicht die erste Gouvernante, für die er … sich interessiert.«
Sie reckte trotzig das Kinn. »Keine Angst, ich habe mir nicht eingeredet, dass ich die erste sei. Auf alle Fälle scheint er ein angenehmer junger Mann zu sein.« Sie zögerte. »Meistens jedenfalls. Sie könnten ihn allerdings freundlicher behandeln.«
»Freundlicher? Felix und ich kommen wunderbar miteinander aus.«
»Er denkt, dass Sie nicht viel von ihm halten.«
»Dass ich nicht viel von ihm halte?« Edward runzelte die Stirn. »Hat er Ihnen das gesagt?«
Sie nickte. »Obwohl ich Ihnen das nicht erzählen dürfte.«
Edward gab zu: »Einiges von seinen Angewohnheiten und seinem Benehmen gefällt mir nicht. Aber ihn als Person lehne ich nicht ab.«
Als sie nichts erwiderte, hob er den Kopf und sah, dass sie ihn nachdenklich musterte. »Was ist?«
»Sind Sie unglücklich?«
Edward spürte, wie Irritation in ihm aufstieg. »Warum fragen Sie so etwas? Hat Felix Ihnen das eingeredet?«
Sie zuckte die Achseln.
Edward verabscheute den Gedanken, dass Felix und Miss Keene über ihn sprechen – und etwas an ihm auszusetzen haben könnten. »Ich bin in letzter Zeit vielleicht ein bisschen mürrisch, aber nach … allem …«
»Aber selbst vor … allem … waren Sie da wirklich glücklich?«
Er dachte einen Moment nach und spürte, wie eine Welle des Schmerzes in ihm aufsteigen wollte. Er unterdrückte sie. »Was für eine seltsame Frage, Miss Keene. Und ziemlich unangemessen, meinen Sie nicht?«
Ihm wurde bewusst, dass er es schon wieder tat – er erinnerte sie an ihre Stellung, um sie zur Ordnung zu rufen und ihre provozierenden Fragen zu unterbinden. In ihren Augen sah er für einen kurzen Moment, dass er sie verletzte hatte, dann wich dieser Ausdruck einem funkelnden Zorn und ja, Enttäuschung. Sie sprach das Wort »Heuchler« nicht aus, aber er hörte es trotzdem und konnte nicht widersprechen.
Am Ende ihrer ersten Woche als Gouvernante machte sich Olivia auf den Weg nach unten, in der Hoffnung, Mrs Moore zu treffen, obwohl sie wusste, dass sie das eigentlich nicht tun sollte. Doris und der Laufjunge standen im Durchgang und Olivia hörte das fröhliche Plappern von neckenden Stimmen und mädchenhaftes Gekicher. Als sie näher kam, sah Olivia die Küchenhilfen Sukey und Edith in der Speisekammer und erkannte, dass die vier gemeinsam eine Pause von ihrer Arbeit machten.
»Vorsicht, Mädchen, da ist eine Dame unter uns«, sagte Edith warnend.
»Ach, halt den Mund, Edie«, gab Doris zurück. »Sie hat nur das getan, was jede von uns tun würde, wenn sie die Chance dazu hätte.«
»Trotzdem würde ich nicht so hochnäsig herumlaufen.«
Olivia fiel nichts Besseres ein, als wortlos an ihnen vorbeizugehen.
»Wenn sie reserviert ist, dann mache ich ihr keinen Vorwurf daraus«, zischte Doris. »Sie hat sich die Regeln nicht ausgedacht. Wie hätte es euch gefallen, wenn die vorherige Gouvernante, diese sauertöpfische Miss Dowdle, versucht hätte, sich uns im unteren Stock anzuschließen?«
»Ganz und gar nicht, aber sie war eine richtige Gouvernante. Eine echte Vornehmtuerin.«
Dorys halb geflüsterte Antwort folgte Olivia den Gang entlang. »Aber Miss Livie ist jetzt auch eine. Eine Gouvernante, meine ich, keine Vornehmtuerin. Und da kann sie nicht mehr zu uns gehören. Das geht einfach nicht.«
Obwohl Olivia dankbar war, dass Dory sie so
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