Das Schweigen der Schwaene
Ahnung. Nicholas sagt, dass er vielleicht nicht auf Bellevigne ist, weil er wegen des verpatzten Anschlags auf dich bei Gardeaux zur persona non grata geworden ist. Vielleicht muss ich ihn einfach dazu bewegen, dass er von selbst zu mir kommt.« Sie verzog das Gesicht. »Was nicht unbedingt leicht werden wird. Nicholas meint, er hätte vielleicht gar kein Interesse mehr an mir, weil meine Bedeutung als Zielperson zurückgegangen ist.«
»Gott sei Dank.« Doch nach einer Pause fragte Tania: »Warum?
«
Bei der Erinnerung an das brennende viktorianische Haus umklammerte Nell den Telefonhörer so stark, dass das Weiß ihrer Knöchel zu sehen war. »Das erzä hle ich dir ein anderes Mal. Wir ziehen morgen um, aber ich rufe dich sobald wie möglich wieder an.«
»Morgen nicht.« Mit einem Mal bekam Tanias Stimme einen heiseren Klang. »Morgen ist Phils Beerdigung. Er wird in der Heimatstadt seiner Eltern in Indiana begraben, und wir kommen erst spät abends zurück.«
»Bist du auch fit genug, um an der Beerdigung teilzunehmen?
Phil würde es verstehen, wenn du zu Hause bleiben würdest.«
»Er hat mich gerettet. Er hat sein Leben für mich gegeben.
Natürlich bin ich fit genug.«
Es war eine dumme Frage gewesen, dachte Nell. Wenn es anders nicht gegangen wäre, hätte sie sich auf Händen und Knien kriechend hingeschleppt. »Paß auf dich auf. Und grüß Joel von mir.«
»Nell«, setzte Tania zögernd an. »Sei bitte nicht böse auf ihn, weil er so wütend auf dich gewesen ist. Er wird darüber hinwegkommen. Im Augenblick schlägt er wie ein Wilder um sich, weil er sich die Schuld an der ganzen Sache gibt.«
»Ich bin nicht böse auf ihn. Er hat recht. Ich war diejenige, die es hätte treffen sollen, nicht du.« Und dann fügte sie hinzu: »Wir sind so schnell hierher geflogen, dass ich keine Gelegenheit mehr hatte, Blumen für Phil zu besorgen. Kannst du das bitte für mich tun? «
»Sobald unser Gespräch beendet ist.«
»Also jetzt. Ich lasse dich lieber noch ein wenig ruhen. Auf Wiedersehen, Tania.«
Tania legte den Hörer auf und wandte sich an Joel. »Sie ist in Paris.«
» Gut. Soll ich ihr vielleicht noch ein Ticket nach Timbuktu schicken? «
»Du bist unfair. Nell konnte nichts dazu.«
»Na und? Habe ich gesagt, dass ich fair sein will? Ich bin außer mir vor Zorn.«
»Auf dich selbst, weil du vergessen hast, die Alarmanlage anzustellen. Aber das werfe ich dir nicht vor.«
»Das solltest du aber«, stellte er hitzig fest. »Es war eine schändliche Nachlässigkeit von mir.«
»Du wusstest nicht, dass mich jemand verfolgt. Ich wusste es selber nicht. Es war schließlich nur ein Gefühl.«
»Das du mir verschwiegen hast.«
»Du bist ein vielbeschäftigter Mann. Hätte ich etwa deine Zeit mit etwas vergeuden sollen, was vielleicht reine Einbildung war? «
»Ja.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Verdammt, um ein Haar wärst du gestorben.«
»Und seitdem sorgst du wie eine Glucke für mich. Du sagst sämtliche Termine ab und lässt mich nicht mal alleine ins Badezimmer gehen.« Sie lächelte. »Was mir wirklich peinlich ist.«
»Es sollte dir nicht peinlich sein. Schließlich bin ich Arzt.« Er stand auf und durchquerte den Raum. »Und als dein Arzt sage ich dir, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen.« Er nahm sie in die Arme und trug sie zum Fuß der Treppe. »Keine Widerrede.«
»Keine Angst. Dazu bin ich viel zu schlapp.« Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, als er die Treppe hinaufzusteigen begann. »Seltsam, dass ein schweres Herz den Körper müde macht. Der arme Junge war...«
»Denk nicht darüber nach.«
»Ich denke über nichts anderes mehr nach. Etwas so Böses...«
Er legte sie auf ihr Bett und zog ihr die Decke bis zum Kinn.
»Etwas so Böses wird dir nie wieder begegnen«, versprach er in leidenschaftlichem Ton.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Weil du es von mir fernhältst, indem du all deine Termine verpasst und mich ins Badezimmer trägst? «
Er setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. »Ich weiß, dass ich nicht Tanek bin«, setzte er zögernd an. »Ich bin Paul Henried, nicht Humphrey Bogart, aber ich verspreche, dass ich nicht zulassen werde, dass dir je wieder ein Leid widerfährt.«
»Wovon redest du da? Wer ist Paul Henried? «
»Casablanca. Der Film. Egal.« Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Aber du sollst wissen, dass ich dafür sorgen werde, dass du für den Rest deines Lebens in Sicherheit bist.«
Sie sah ihn reglos an.
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