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Das Schweigen der Schwaene

Das Schweigen der Schwaene

Titel: Das Schweigen der Schwaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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auf, schob sich die Calder-Akte unter den Arm und ging zur Tür. Vorsichtig löste er das starke, durchsichtige Klebeband, das er über das Schloß geklebt hatte, während Pat mit dem Ordner an Trudas Schreibtisch gegangen war. Es war Glück gewesen, daß sie ihm über den Weg gelaufen war.
    Andernfalls hätte er die Sammlung an Schlüsseln ausprobieren müssen, mit denen er bewaffnet war, wodurch er Gefahr gelaufen wäre, daß irgendjemand ihn beobachtete.
    Er wandte sich um und bedachte den Computer mit einem letzten wehmütigen Blick, ehe er den Raum verließ.
    So schlimm war es nun auch wieder nicht. Schließlich war es nicht so, daß ihm sein Job nicht gefiel. Er mochte Menschen, und ihnen zu helfen gab ihm ein gutes Gefühl. Er hoffte nur, daß er auch Nell Calder eine Hilfe war. Die arme Frau. Sie mußte bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken, denn andernfalls hätte Nicholas sich nicht zu einer derartigen Veränderung ihrer Akte veranlaßt gesehen.
    Um 14.04 Uhr erlag die Patientin ihren Verletzungen. Leichnam
    überführt an John Birnbaums Bestattungsinstitut.

3. Kapitel
    »Ist sie das? « Tania griff nach dem Photo, das neben der aufgeschlagenen Akte auf Joels Schreibtisch lag. Sie betrachtete es eingehend, und dann nickte sie. »Sie gefällt mir. Ich glaube, sie hat Herz.«
    »Und wie kommst du zu diesem Schluß? Siehst du es ihren Augen an? «
    Tania blickte auf Nell Calders große braune Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, ihrem Mund. Er sieht... empfindsam aus. Laß den Mund so, wie er ist.«
    »Für eine perfekte Symmetrie ist er zu groß.«
    »Symmetrie ist etwas Kaltes. Wenn ich sie wäre, würde ich nicht kalt aussehen wollen.«
    Da besteht wohl keine Gefahr, dachte Joel. »Ich dachte, ich sollte den perfekten Menschen schaffen? «
    »Willst du, daß ich gehe? « fragte sie enttäuscht.
    »Nein.« Er lächelte und zog ihr einen Stuhl an den Tisch. »Du könntest mir helfen, denn sie selbst sagt keinen Ton.«
    »Arme Frau. Der erste Schmerz ist der schlimmste. Als meine Eltern und mein kleiner Bruder starben, habe ich mir gewünscht, ich wäre ebenfalls tot.«
    Dies war das erste Mal, daß sie über den Tod ihrer Familie sprach, und er wandte sich zu ihr um. »Sind sie zusammen gestorben? «
    »Nein. Mein Vater war Soldat. Meine Mutter und mein Bruder wurden ein Jahr später auf der Straße von Heckenschützen erwischt. Sie waren unterwegs, um Wasser für uns zu holen.«
    Sie betrachtete Nells Bild. »Das schlimmste sind die Einsamkeit und die Hilflosigkeit. Wenn einem alles genommen wird, ist es schwer, einen Grund zum Weiterleben zu finden.«
    »Und welchen Grund hast du gefunden? «
    »Zorn. Ich wollte ihnen auf keinen Fall die Genugtuung geben, mich auch noch umzubringen.« Sie setzte ein angestrengtes Lächeln auf. »Und dann habe ich dich gefunden, und jetzt hat mein Leben wieder einen Sinn.«
    Um zu verbergen, wie bewegt er war, bemühte er sich eilig um Ironie: »Den Sinn, mich vor den Sünden des Koffeins zu bewahren? «
    »Unter anderem.« Sie trommelte mit dem Zeigefinger auf dem Photo herum. »Du mußt dafür sorgen, daß ihr Leben ebenfalls wieder einen Sinn bekommt.«
    »Zuerst muss ich mal dafür sorgen, daß sie wieder ein Gesicht bekommt.« Er ging in das Bildprogramm seines Computers, und auf dem Bildschirm erschien Nells Gesicht. Er griff nach dem Zeichenstift und beugte sich über den Computerpad, der neben dem Bildschirm lag. »Wangenknochen? «
    »Hoch.«
    Sein Stift bewegte sich auf dem Pad nach oben, und mit einem Mal wies Nells Bild höhere Wangenknochen auf. »Genug? «
    »Noch ein bisschen.«
    Er verschob die Wangenknochen noch ein Stück.
    »Gut.« Sie runzelte die Stirn. »Und diese Himmelfahrtsnase muß weg. Mir persönlich gefällt sie, aber zu den
    Wangenknochen paßt sie nicht.«
    Er löschte die Nase und gab eine zarte römische Nase ein. »In Ordnung? «
    »Vielleicht. Wir werden sehen.«
    »Der Mund...«
    »Den Mund würde ich lassen, wie er ist.«
    »Dann müssen wir den Kiefer ein wenig kantiger gestalten.« Er korrigierte das Bild. »Die Augen? «
    Mit schräg gelegtem Kopf musterte sie das Bild. »Können wir sie vielleicht ein bißchen schräg stellen? So wie bei Sophia Loren? «
    »Dann muss ich nähen.«
    »Aber es wäre sehr interessant, ja? «
    Er retuschierte die Form der Augen, und die Verwandlung war perfekt. Mit einem Mal war auf dem Bildschirm ein kraftvolles, erhabenes und vage exotisches Gesicht zu sehen, dem der breite, bewegliche Mund eine

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