Das Schweigen der Schwaene
vollkommen unter Kontrolle gehabt. Anschließend hat sie nach dir gefragt, und seither bittet sie täglich darum, dich zu sehen. Ich glaube, wenn du nicht kommst, steht sie am Tag ihrer Entlassung bei dir vor der Tür.«
»Dann komme ich besser zu euch. Sam mag keinen Besuch.«
»Was macht sein Bein? «
»Stärker als je zuvor.«
»Kann passieren. Man bricht jemanden, setzt ihn wieder zusammen, und heraus kommt ein vollkommen neuer Mensch.
Ich werde ihr sagen, daß du morgen kommst.«
Joels Warnung wäre nicht erforderlich gewesen, denn Nicholas hatte gewußt, welches Risiko er mit seiner Schocktherapie eingegangen war. Nur hatte er keine andere Wahl gehabt. Man konnte nichts ausbrennen, ohne daß es Narben gab. Nicholas legte den Hörer auf und nahm in seinem Ledersessel Platz.
Prompt krabbelte Sam an ihm hoch, und er tätschelte ihm geistesabwesend den Rücken, ehe er ihn auf den Teppich schob.
Der Hund bedachte ihn mit einem resignierten Blick, rollte sich zusammen und legte den Kopf auf seinen Fuß.
Ab, ab, ab...
Nein!
Mit wild klopfendem Herzen fuhr Nell aus dem Schlaf.
Sie hatte geträumt. Nur geträumt.
Jill hatte nicht in der Tür gestanden, hatte sie nicht angestarrt...
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
O Gott, mach, daß dieser Traum nicht wiederkommt. Ich ertrage es nicht.
Mach, daß er nicht wiederkommt.
4. Kapitel
»Sie wollten mich sehen? « Nell blickte auf und entdeckte Tanek in der Tür. Nur mit Mühe unterdrückte sie den plötzlich in ihr aufwallenden Zorn. »Kommen Sie rein«, sagte sie knapp.
Er trat an ihr Bett. Er trug Jeans und ein cremefarbenes Sweatshirt. Diese Kleidung sah ebenso natürlich an ihm aus wie der Smoking, in dem er ihr zum ersten Mal begegnet war. Es war immer Tanek, der einem ins Auge stach, niemals das, was er trug.
Er setzte sich auf einen Stuhl. »Ich dachte, Sie wären die Verbände inzwischen los.«
»Übermorgen. Der Gips ist ab, aber Joel wollte, daß die Naht erst ganz verheilt.« Dann ging sie zum Angriff über. » Sie kennen den Mann, der Jill ermordet hat, nicht wahr? «
Er tat gar nicht erst so, als verstünde er sie nicht. »Ich dachte mir bereits, daß Sie mich das fragen würden. Ja, ich glaube, ich weiß, wer er ist.«
»Sind Sie ein Terrorist? «
Ein Lächeln umspielte seinen Mund. »Wenn ich einer wäre, denken Sie, das gäbe ich zu? «
»Nein, aber ich dachte, ich bekäme vielleicht eine Antwort.«
Er nickte beifällig. »Sehr gut.«
Sein Beifall war ihr egal, an etwas anderem als Antworten war sie nicht interessiert. »Ich glaube nicht, daß es ein Überfall von Terroristen war.«
»Tatsächlich? Alle anderen scheinen dieser Ansicht zu sein.«
»Ich war nicht im Ballsaal. Welches Interesse hätte ein Terrorist wohl gerade an mir? «
Er kniff unmerklich die Augen zusammen. »Ja, welches
Interesse hätte ein Terrorist wohl gerade an Ihnen? «
»Ich weiß es nicht.« Sie bedachte ihn mit einem
herausfordernden Blick. »Wissen Sie's? «
»Vielleicht hat sich Gardeaux von Ihnen auf den Schlips getreten gefühlt.«
Sie sah ihn verwundert an. »Gardeaux? Wer ist Gardeaux? «
Erst als er aufatmete, merkte sie, wie angespannt er zuvor gewesen war. »Ein höchst unangenehmer Mensch. Ich bin froh, daß Sie ihn nicht kennen.«
Offenbar hatte er den Namen nur fallengelassen, um ihre Reaktion darauf zu sehen. Gardeaux. Sie speicherte den Namen in ihrem Gedächtnis ab. »Warum haben Sie darauf bestanden, an jenem Abend mit mir in unsere Suite zu gehen? Wollten Sie sicher gehen, daß der Mörder wußte, wo ich zu finden war? «
»Nein, ich denke, er hatte einen vollständigen Plan vom Haus und wußte bereits, ehe er die Insel erreichte, wer in welchem Zimmer war.« Er begegnete ihrem Blick. »Und das letzte, was ich gewollt hätte, wäre, Sie verwundet oder ermordet zu sehen.«
Sie musste sich zwingen, fortzusehen. Er wollte, daß sie ihm glaubte, und sein Wille war sehr stark. Aber sie sollte ihm nicht glauben. Sie sollte niemandem trauen, am wenigsten ihm. »Wer hat meine Tochter umgebracht? «
»Ich glaube, ein Mann namens Paul Maritz.«
»Warum haben Sie das nicht der Polizei gesagt? «
»Die geben sich mit der Vorstellung zufrieden, daß es ein gegen Kavinski gerichteter Überfall von Terroristen war.«
»Und dieser Maritz ist kein Terrorist? «
Er schüttelte den Kopf. »Er arbeitet für Philippe Gardeaux. Aber die Polizei wird ihn wegen des Mordes an Ihrer Tochter nicht behelligen.«
Wieder
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