Das Schweigen der Schwaene
kein Sieg.
Ich muß einen Weg finden, auf dem ich ihn zur Strecke bringen kann, ohne...«
»Dann verfolgen Sie ihn doch nicht mit derselben Leidenschaft wie ich.« Sie begegnete seinem Blick und fügte schlicht hinzu:
»Es ist mir egal, was aus mir wird, nachdem ich ihn getötet habe. Das einzige, was ich will, ist, daß er stirbt.«
»Himmel.«
»Also zeigen Sie mir, wie es geht, benutzen Sie mich. Ich werde es für Sie tun.«
»Den Teufel werden Sie tun.« Er stand auf und wandte sich zum Gehen. »Halten Sie sich aus der Sache raus.«
»Warum sind Sie so wütend auf mich? Wir haben doch beide dasselbe Ziel.«
»Verdammt, hören Sie mir zu. Gardeaux hat es auf Sie abgesehen.« Er öffnete die Tür. »Und ich opfere keine lebendige Ziege, nur, weil mir dann vielleicht der Tiger vor die Flinte läuft.«
»Warten sie.«
»Warum? Ich denke, wir haben alles gesagt.«
»Weshalb wissen Sie so viel über mich? «
»Ein Freund hat eine Akte über Sie angelegt. Ich mußte wissen, weshalb Sie für Gardeaux von Interesse sind.«
»Aber das haben Sie nicht herausgefunden.« Sie zuckte frustriert mit den Schultern. »Wie hätten Sie das auch herausfinden sollen? Es gibt keinen Grund. Das Ganze ergibt einfach keinen Sinn.«
»Es gibt einen Grund. Wir kennen ihn nur noch nicht. Aber ich arbeite weiter daran. Darf ich jetzt gehen? «
»Nein. Sie haben mir immer noch nicht gesagt, weshalb Sie an jenem Abend darauf bestanden haben, mich zu begleiten.«
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber mit einem Mal strahlte er eine unmerkliche Anspannung aus. »Weshalb interessiert Sie das? «
»Mich interessiert alles. Ich will es wissen.«
»Meinen Informationen zufolge waren Sie unter Umständen in irgendeinen Coup verwickelt.«
»In was für einen Coup?«
»Das wußte ich nicht. Ich kam zu dem Schluß, daß die
Information in Ihrem Fall wertlos war.«
»Aber das war sie nicht? «
»Nein, verdammt. Sind Sie jetzt zufrieden? Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, und deshalb hat Maritz Sie erwischt.«
Sie sah ihn aufmerksam an. »Sie geben sich die Schuld an dem, was geschehen ist. Darum haben Sie sich auch die Mühe gemacht, mich hierher zu verfrachten.«
Sein Lächeln war ohne jede Spur von Humor. »Ist es nicht tröstlich zu wissen, daß Ihnen außer Maritz noch ein Sündenbock zur Verfü gung steht? «
Es wäre tröstlich, und sie wünschte sich von ganzem Herzen, sie könnte ihn als den Schuldigen an ihrem Elend sehen. »Ich gebe Ihnen nicht die Schuld an dem, was vorgefallen ist. Sie konnten nichts dazu.«
Er riss überrascht die Augen auf. »Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
»O nein. Sie wußten es einfach nicht. Sie waren nicht da, als Maritz kam.«
»Aber ich hätte da sein können.«
»Ja, das hätten Sie. Wenn Sie sich unbedingt schuldig fühlen wollen, dann tun Sie's ruhig.« Und leidenschaftlich fügte sie hinzu: »Ich will, daß Sie sich schuldig fühlen, denn dann helfen Sie mir vielleicht.«
»Vergessen Sie's.«
»Das werde ich nicht. Ich werde...« Aber er war nicht mehr da.
Ihr Herz klopfte bis zum Hals, und sie spürte, wie ihr Blut pochend durch ihre Adern rann. Er hatte die eisige Hülle der Selbstbeherrschung durchbrochen, von der sie bisher geschützt worden war, aber das war egal. Er wußte, wer Maritz war. Er kannte den Weg zu ihm. Und sie würde eine Möglichkeit finden, um ihn dazu zu bringen, daß er ihr zeigte, wo dieser Weg verlief.
Sie griff nach den elastischen Streckbändern auf dem Nachttisch und schob sich die Schlinge über den linken Fuß. Sie wurde mit jedem Tag kräftiger, denn selbst nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, trainierte sie.
Seit ihrem ersten Alptraum war der Schlaf nicht länger ihr Freund, sondern ihr Feind.
Joel setzte ein durchtriebenes Lächeln auf, als er Nicholas Miene sah. »Du wirkst ein bißchen durcheinander. Habe ich etwa übertrieben? «
»Nein«, war die knappe Erwiderung.
»Wie gesagt, ich mag ihre Selbstbeherrschung nicht.«
»Was? « Er erinnerte sich an die kühle Begrüßung, die ihm durch Nell zuteil geworden war. Aber sobald sie angefangen hatte, ihn anzugreifen, war es um ihre Fassung geschehen, und er hatte nur noch ihre starrsinnige Entschlossenheit und ihren unbeugsamen Willen gesehen.
»Dann verfolgen Sie ihn doch nicht mit derselben Leidenschaft wie ich.«
O ja, sie bewies Leidenschaft, dieselbe blinde Leidenschaft, von der die Jungfrau von Orleans auf den Scheiterhaufen getrieben worden war.
Joel
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