Das Schweigen der Schwaene
du jemanden, mit dem du reden kannst.«
Jill duftete nach Meer und Sand und nach Nells Lavendelseife, die sie gestern abend für ihr Bad erbettelt hatte. Nell drückte sie einen Augenblick fest an sich, ehe sie sie widerstrebend aus ihren Armen entließ. »Das ist eine Erwachsenenparty. Es würde dir nicht gefallen.«
Ebenso wenig wie ihr. Sie hatte sich an ihre Pflichten als Richards Ehefrau gewöhnt, und normalerweise hielt sie sich stets unauffällig im Hintergrund, aber an diesem Wochenende würde ihr das sicher nicht gelingen. Eine häßliche Frau wie sie würde wie der berühmte wunde Daumen zwischen all den reichen und berühmten Gästen hervorstechen, die Brenden neben Kavinski geladen hatte, damit dieser, geblendet vom Chic der Umgebung, den Vertrag mit Continental Trust
unterzeichnete.
»Dann bleib hier bei mir«, schlug Jill ihr vor.
»Das kann ich nicht.« Sie rümpfte die Nase. »Das würde Daddys Boß nicht gefallen. Dies ist ein sehr wichtiger Abend für Daddy, und wir müssen ihm beide helfen.« Sie sah, wie sich die Miene ihrer Tochter abermals verfinsterte und fügte eilig hinzu:
»Aber bevor du schläfst, komme ich mit einem Tablett voller feiner Sachen rauf und mache ein Picknick mit dir.«
Sofort hellte sich Jills Gesichtchen wieder auf. »Bringst du auch Wein mit? « fragte sie. »Jean Marc darf jeden Abend zum Essen ein Glas trinken. Seine Mutter sagt, das ist gut für ihn.«
Jean Marc war der Sohn der Haushälterin in ihrem Appartement in Paris, und Jill wartete mit immer neuen Geschichten über den Schlingel auf.
»Orangensaft.« Und damit es nicht erst zu Protesten kam: »Aber wenn du brav ißt, sehe ich nach, ob ich ein Schokoladeneclair finden kann.« Sie stand auf und zog auch das kleine Mädchen hoch. »Und jetzt ab in die Badewanne mit dir. Ich bringe nur schnell die Blumen nach unten. In zwei Minuten bin ich zurück.«
Jill betrachtete die Porzellanvase, und dann sah sie ihre Mutter mit einem strahlenden Lächeln an. »Das ist hübsch, Mama.
Sogar noch schöner, als wenn die Blumen im Garten stehen.«
Nell war anderer Meinung als sie. Sie fand es immer schade, Blumen zu pflücken, denn es gab nichts Schöneres als einen
Garten, der in voller Blüte stand. Wie der Garten der kleinen Pension, den sie gemalt hatte, als sie im ›William & Mary-College‹ zur Schule gegangen war. Weicher Nebel und leuchtende Farben und sanftes Vormittagslicht...
Diese Erinnerung versetzte ihr einen Stich, und sie scheute davor zurück. Sie hatte keinen Grund, sich in Selbstmitleid zu ergehen. Anders als ihre Eltern hatte Richard ihre Malerei niemals kritisiert. Nach ihrer Hochzeit hatte er sie sogar ermutigt, mit ihrer Arbeit fortzufahren. Sie hatte einfach keine Zeit gehabt. Ihre Rolle als Frau eines ehrgeizigen, jungen leitenden Angestellten füllte jede Stunde des Tages aus.
Mit langem Gesicht nahm sie die Vase in die Hand. Wäre sie nicht gezwungen gewesen, den ganzen Nachmittag mit der Gestaltung von Sally Brendens Blumenarrangements zu verbringen, hätte sie die Gelegenheit zum Zeichnen der wunderbaren Steilküste gehabt. Aber das hätte bedeutet, mit den Brendens und Richard an den Strand zu gehen. Sie hätte lächeln und plaudern müssen und Sallys Wohlwollen zu ertragen gehabt.
Da erschienen ihr Jills subtile Tyranneien wie eine willkommene Abwechslung von der Gesellschaft dieser Frau.
Nell gab Jill einen Kuß. »Leg schon mal deinen Schla fanzug raus und geh nicht auf den Balkon.«
»Das hast du mir schon mal gesagt«, erklärte die Kleine in würdevollem Ton.
»Ich habe dir auch schon mal gesagt, daß du nicht in die Höhle gehen sollst.«
»Das ist etwas anderes.«
»Nein, ist es nicht.«
Jill ging in Richtung des Badezimmers. »Höhlen sind in Ordnung, aber Balkone mag ich nicht. Mir wird immer schwindlig, wenn ich von ihnen runtergucke.«
Dem Himmel war Dank für diesen kleinen Gnadenerweis. Nell
konnte einfach nicht glauben, daß Sally ihnen, einem Paar mit einem kleinen Kind, eine Suite mit einem Balkon gegeben hatte, der auch noch auf die Felsenküste ging. Doch, sie konnte es glauben, denn schließlich hatte Richard Sally vor Jahren einmal erzählt, daß er Balkone liebte, und Sally versuchte immer, ihm gefällig zu sein. Alle Leute versuchten immer, dem Sunnyboy gefällig zu sein.
»Du solltest mal die Bootsladung von Sicherheitsmännern sehen, die Kavinski vorausgeschickt hat. Man könnte glatt meinen, er wäre Arafat.« Richard kam wie eine kühle Brise in die
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