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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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langen Zufahrten und privaten Anlegestellen, die weit in den See hinausreichten.
    Caleb Fishers Haus war von hohen Kiefern und Eichen umgeben. Am Rand der Auffahrt knabberten drei Weißwedelhirsche an den Blättern der Bäume. Vom Auto aufgeschreckt, sprangen sie Nick fast vor die Stoßstange. Blitzschnell trat er auf die Bremse und sah sie im Wald verschwinden.
    «Sieht man auch nicht so oft.»
    «Willkommen im ländlichen Pennsylvania», sagte Kat. «Hier gibt’s so viele Hirsche, dass man sich fragt, warum sie noch kein Stimmrecht haben.»
    Nick fuhr, jetzt vorsichtiger, im Schritttempo weiter und parkte neben einem großen roten Pick-up. Als er den Motor ausschaltete, kam jemand aus dem Haus, um sie zu begrüßen: ein Bär von einem Mann, in Jeans und einem grauen T-Shirt, das sich über seinem fassförmigen Oberkörper spannte. Ein wilder Bart, sandfarben wie sein Haupthaar, überwucherte sein Kinn.
    «Kann ich Ihnen helfen?», fragte er.
    Die großen Hände zu Fäusten geballt, näherte er sich dem Wagen. Nick war nicht sicher, aber es wirkte, als ob der Mann in jeder Hand eine große Murmel trug. Seltsam, aber möglich war alles.
    «Sind Sie Caleb Fisher?», erkundigte sich Kat und stieg aus.
    Der Mann sah ihre Uniform. «Geht wohl um den Sarg auf dem Wasser.»
    «Richtig», entgegnete sie. «Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen.»
    «Klar. Kommen Sie herein.»
    Caleb Fisher deutete aufs Haus und bewegte seine Hände dabei so, dass Nick sehen konnte, was sie enthielten. Es waren keine Murmeln.
    Es waren Augen.
     
    Kat sah sie im selben Moment wie Nick. Und da Mr. Fisher auch noch zwei Augen im Kopf hatte, bemerkte er die Irritation.
    Er lächelte kryptisch und erklärte: «Die sind aus Glas.»
    Einer musste fragen, Kat tat es: «Was machen Sie damit?»
    «Kommen Sie rein, ich zeig’s Ihnen.»
    Er führte sie über den Rasen zur Haustür. Als er sie öffnete, stürzten drei Beagles nach draußen. Einer rannte geradewegs auf Kat zu und lief um sie herum. Als er sein Interesse an ihr verloren hatte, hechelte er auf Nick zu, der sich hingehockt hatte, um die beiden anderen zu streicheln.
    «Keine Sorge», sagte Caleb. «Die mögen Fremde, deshalb sind sie auch so schlechte Wachhunde. Einbrecher würden von denen höchstens zu Tode geleckt.»
    Er pfiff sie zurück und schickte sie ins Haus. Kat und Nick folgten.
    Kat schaute sich um und fand sich in einer Art Jagdhütte wieder, die, wie sie glaubte, nur von Frank Lloyd Wright entworfen worden sein konnte. Die Einrichtung ließ jedoch einiges zu wünschen übrig. Das Mobiliar – plumpe Sessel und mit Quilts bedeckte Sofas – war rustikal und abgenutzt. An den Wänden hingen Köpfe von praktisch allen wild lebenden Tieren Nordamerikas. Mehrere Hirsche. Ein Elch. Ein Bär. Ausgestopft und präsentiert wie die Meisterbriefe in einer Metzgerei.
    Von den toten Tieren abgesehen, war das Wohnzimmer eine Pracht, riesengroß und durchaus geeignet, um in einer Fachzeitschrift als Beispiel exklusiver Wohnkultur präsentiert zu werden. Die verglaste Stirnwand bot einen wunderschönen Ausblick auf den See.
    Caleb führte sie hinaus auf eine große Terrasse. Von dort aus sah Kat die Häuser der unmittelbaren Nachbarschaft, die nicht weniger opulent waren. Wie die teuren Boutiquen an der Main Street waren diese Unterkünfte für schwerreiche Wochenendbesucher aus der Großstadt in Perry Hollow noch ein jüngeres Phänomen. Vor zehn Jahren war der See ausschließlich von dichtem Wald umgeben gewesen. Als kleines Mädchen hatte Kat an seinem Ufer gespielt, Frösche und Schildkröten gefangen und in der Ferne die Sägen der Mühle gehört.
    «Genau dort habe ich gestanden, als mir dieser Sarg aufgefallen ist», erklärte Caleb und trat ans Geländer. Vor ihm erstreckte sich das glitzernde Wasser. «Hier rauche ich abends immer eine Zigarette und trinke ein Schlückchen dazu. Das vermisse ich am meisten, wenn ich nicht hier bin.»
    «Wo ist Ihr erster Wohnsitz?», fragte Nick.
    «In Philadelphia. Ich bin Investment-Banker, allerdings schon mit einem Bein im Ruhestand.»
    «Wie viel Zeit verbringen Sie hier?»
    «Fünf oder sechs Monate im Jahr, meist den Frühling und Sommer. Wenn der Herbst kommt, geht’s dann irgendwann wieder zurück.»
    «Zu dem Sarg», sagte Kat, um auf das eigentliche Anliegen ihres Besuchs zu sprechen zu kommen. «Wann haben Sie ihn gesehen?»
    «Kurz nach halb neun.»
    Troy war also schon mindestens eine Stunde im Wasser gewesen, als sie

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