Das Schweigen der Toten
nicht. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und musste wahrheitsgemäß antworten.
«Ja», sagte sie. «In beiden Fällen wurde eine gefälschte Todesnachricht an Ihre Redaktion geschickt. Der Empfänger war beide Male Henry Goll, der für Ihre Zeitung Nachrufe verfasst. Er hat sich dankenswerterweise sofort an uns gewandt.»
Die Auskunft erwies sich als zweischneidig. Martin verschlug es die Sprache, was gut war. Dafür wurden die anderen Reporter umso lauter.
«Glauben Sie, Troy Gunzelman war schon tot, als das Fax ankam?»
Kat schüttelte den Kopf. «Wie gesagt, der Todeszeitpunkt konnte noch nicht genau ermittelt werden.»
In die Menge kam Bewegung.
«Also hätte noch die Möglichkeit bestanden, sein Leben zu retten?»
«Das kann sein, ja.»
Die Reporter schlugen plötzlich einen anderen Ton an. Sie stellten nun nicht mehr bloß Fragen, sondern übten sich in Schuldzuweisungen. Von den Kameras ging ein Blitzlichtgewitter aus.
«Wurden Versuche unternommen, Troys Leben zu retten?»
«Natürlich», antwortete Kat und straffte die Schultern. «Als die Todesnachricht eintraf, haben wir sofort alles unternommen, um ihn ausfindig zu machen. Leider fanden wir ihn erst, als es zu spät war.»
Die Reporter hatten Blut geleckt und rückten näher an das Podium heran, was Kat noch nervöser machte. Ihr Mund fühlte sich plötzlich trocken an, und auf der Stirn bildete sich Schweiß. Sie fürchtete schon, vor laufenden Kameras zusammenzubrechen. Nur das nicht, dachte sie und riss sich zusammen.
«Glauben Sie, Meister Tod könnte wieder zuschlagen?», brüllte ein anderer Reporter.
«Bevor ich auf diese Frage eingehe, möchte ich eins klarstellen», sagte Kat mit festerer Stimme. «Mir gefällt dieser Name nicht, und ich kann ihn auch nicht dulden. Einen Mörder so zu titulieren, wertet ihn auf und missachtet die Gefühle der Betroffenen.»
Kat fasste Martin ins Auge, der plötzlich den Boden unter seinen Füßen interessanter fand als das Podium.
«Und nun zu Ihrer Frage: Ich weiß es nicht.»
Der Reporter ließ nicht locker. «Und wenn ja, was werden Sie tun?»
«Das Naheliegende. Wir werden versuchen, ihm Einhalt zu gebieten.»
«Und wenn Ihnen das nicht gelingt?»
Es war Martin. Er hatte den Kopf wieder gehoben und schaute sie trotzig an. «Wie wollen Sie die Stadt schützen?»
Kat registrierte, dass sich Henry verzog. Er hatte offenbar genug gehört. Auch ihr reichte es, doch man erwartete eine Antwort von ihr. Alle schienen davon auszugehen, dass der Mörder die Serie seiner Verbrechen fortsetzte und sie, die Polizei, machtlos dagegen wäre.
«Dutzende von Spezialisten aus dem Büro des County-Sheriffs und der übergeordneten Polizeibehörde unterstützen unsere Ermittlungen. Ich habe allen klargemacht, dass die Sicherheit der Bürger von Perry Hollow und seiner Besucher an oberster Stelle steht.»
Diese Pressekonferenz hatte für Kat nur ein Gutes: Ihr blieb das letzte Wort. Davon machte sie nun Gebrauch. «Abschließend richte ich an alle Einwohner die dringliche Bitte, Ruhe zu bewahren und uns in unseren Ermittlungen zu helfen. Bitte wenden Sie sich an uns, wenn Sie sachdienliche Hinweise haben oder wenn Ihnen etwas Verdächtiges auffällt. Wir leben in einer friedlichen Stadt und kümmern uns um unsere Nachbarn, und so soll es auch bleiben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.»
Damit war die Pressekonferenz beendet, was aber die Reporter nicht davon abhielt, weitere Fragen zu stellen. Kat achtete nicht auf sie und eilte zurück in die Station, wo ihr Lou und Carl die Tür aufhielten, um ihr eine rasche Flucht zu ermöglichen.
Kaum hatte sie die Menge hinter sich gelassen, erteilte Kat Aufträge an ihre Mitarbeiter. «Lou, setz dich bitte ans Telefon. Ich glaube, wir werden einige Anrufe bekommen.»
Wie auf Kommando klingelte der Apparat auf Lous Schreibtisch. Sie nahm den Hörer ab, hob den Zeigefinger und flüsterte Kat zu: «Hinweis Nummer eins.»
Als Nächstes wandte sich Kat an Carl. «Erkundige dich, wo sich Lucas Hatcher letzte Nacht aufgehalten hat. Frag nicht ihn, sondern seine Mutter. Sie hat sich schon einmal verplappert und ihren Sohn überführt. Vielleicht passiert ihr das ja nochmal.»
«Geht klar, Chief.»
In ihrem Büro traf sie auf Nick Donnelly und Cassie Lieberfarb. Nick hielt in jeder Hand einen dampfenden Becher Kaffee von
Big Joe’s
.
«Schön, Sie zu sehen, Chief», grüßte er. «Wie hätten Sie Ihren gern, verbleit oder unverbleit?»
«Verbleit.» Sie nahm
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