Das Schweigen der Toten
dass er cleverer ist als wir. Das würde erklären, warum er die Todesnachrichten verschickt. Organisierte Killer lieben Gedankenspiele. Deshalb schicken sie Briefe an Zeitungsredaktionen und streuen rätselhafte Hinweise. Eine Theorie besagt, dass sie unbewusst überführt werden wollen.»
«Und dafür wollen wir sorgen», sagte Nick. «Die Maschine wird sich Rudy vornehmen.»
«Ich bringe sie ihm», meldete sich Cassie freiwillig.
Nick wandte sich an Kat. «Sieht so aus, als hätten Sie mich jetzt am Bein. Was steht an?»
«Wir werden einem gewissen Caleb Fisher einen Besuch abstatten.»
«Wer ist das?»
«Der Zeuge, der den Sarg auf dem Lake Squall entdeckt hat», antwortete Kat und ging zur Tür. «Sie können fahren.»
Neunzehn
Nick fuhr schnell, bei offenen Fenstern und lauter Musik. Von Creedence Clearwater Revival. «Bad Moon Rising», «Fortunate Son» und «Proud Mary», obwohl ihm die Version von Ike und Tina eigentlich besser gefiel.
«Mir gehen die Opfer nicht aus dem Kopf», rief Kat gegen Wind und Musik an. «Warum Troy? Warum George? Es gibt keine Verbindung zwischen beiden, abgesehen davon, dass Troy während der Sommerferien einmal bei ihm gearbeitet hat.»
«Es gibt eine Verbindung», entgegnete Nick. «Auch wenn wir sie noch nicht sehen können. Organisierte Killer haben für alles, was sie tun, einen Grund. Die Pennys auf den Augen sind natürlich von Bedeutung, genau wie die Tatsache, dass George Winnick das erste und Troy Gunzelman das zweite Opfer war.»
«Das heißt, der Mörder kannte beide.»
«Nicht unbedingt. Vielleicht hat er sie auch nur zufällig auf der Straße gesehen.»
Kat drehte die Musik leiser. «Ist das Ihr Ernst? Er könnte sie einfach nur gesehen und beschlossen haben, sie zu töten?»
«Ja, so simpel könnte es tatsächlich sein.»
So simpel und so grausig. Ein Mörder konnte an hundert Fußgängern vorbeigehen, die er keines weiteren Blickes würdigte. Und dann sah er die eine Person, die ihm auffiel, aus Gründen, die ihm vielleicht nicht einmal selbst klar waren. Und das war die Person, die er dann töten musste.
«Aber warum?», fragte sie.
«Hängt davon ab, was für eine Art Psychose der Mörder hat. Manche haben es nur auf Mädchen abgesehen, die rosa Sachen tragen, oder auf kleine Jungs mit einer Mickymaus auf dem T-Shirt. Auf Rothaarige oder Blondinen.»
Oder Brünette. Wieso hatte er die jetzt ausgelassen?
«Aber er muss sie gesehen haben, verstehe ich das richtig?»
«Ja», antwortete Nick. «Es gibt immer einen ersten visuellen Kontakt. Haben Sie jemals von Floyd Beem gehört?»
Kat verneinte.
«Man nannte ihn den Drugstore-Killer. Er reiste als Handelsvertreter durch den mittleren Westen. Überall, wo er haltmachte, suchte er die örtliche Drogerie auf. Wurde er dort von einem Mann oder einer älteren Frau bedient, ließ er sie in Ruhe. War es aber eine junge Frau mit braunen Haaren, setzte er sich draußen in seinen Wagen und wartete, bis sie Feierabend hatte.»
Er wusste selbst nicht so recht, warum er davon erzählte. Die Geschichte hatte nichts mit den Morden von Perry Hollow zu tun – wohl aber mit ihm persönlich. Er fuhr fort und achtete darauf, dass seine Stimme nicht bitter klang.
«Er hat seine Opfer in den Wagen gezerrt und erdrosselt, sie dann in den Kofferraum gestopft und an anderer Stelle am Straßenrand abgelegt. Sechs Frauen insgesamt im Zeitraum von zwei Jahren.»
«Das war alles?», fragte Kat. «Sie mussten jung sein und braune Haare haben?»
«Ja. Vielleicht hat er sie auch deshalb getötet, weil sie nett zu ihm waren, zu diesem Scheißkerl.»
Er presste die Lippen aufeinander, aber es war zu spät. Er hatte seine Wut unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Kat warf ihm einen Blick zu, bemerkte die angespannten Kiefermuskeln und wusste, dass er persönlich betroffen war.
«Ich hoffe, er wurde gefasst», sagte sie ruhig.
«Das wurde er.»
«Wie?»
«Ganz einfach. Jemand hat das letzte Opfer in seinen Wagen einsteigen sehen und die Polizei alarmiert, die ihn auf frischer Tat ertappte. Er gestand die anderen Verbrechen, bis auf eines. Es konnte nie aufgeklärt werden.»
Sie näherten sich dem See, was ihn erleichterte, weil nun ein Themenwechsel anstand.
«Gleich geht’s rechts ab», sagte Kat. «In die Squall Lane.»
Nick bog in einen Schotterweg ein. Links erhob sich ein mit alten Bäumen dicht bewachsener Hügel. Auf der anderen Seite standen vereinzelt Ferienhäuser auf großen Grundstücken, mit
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