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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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weiterermittelte.
    Als sie den Friedhof erreichte, sah sie, dass sie an diesem Morgen nicht die einzige Besucherin war. Ein halbes Dutzend Fahrzeuge, alle mit auswärtigen Kennzeichen, stand auf dem Parkplatz. Auf dem Friedhof selbst zählte sie an die zwanzig Personen. Die meisten waren um die zwanzig Jahre alt und trugen Schwarz. Drei grellgeschminkte junge Frauen mit blauen Strähnen im Haar fotografierten sich gegenseitig vor Troy Gunzelmans Grab.
    Aasgeier
, dachte Kat. Das war aus Perry Hollow seit dem ersten Mord geworden: ein Horst für Aasgeier. Mehr von dieser Spezies würden am Abend zu sehen sein, wenn die Party in Schwung gekommen war. Kein schöner Ausblick.
    Lucas Hatcher hielt sich von den Touristen fern und harkte Laub zwischen den Gräbern. Er trug, was er immer trug, verdreckte Jeans, eine verdreckte Jacke und verdreckte Handschuhe. Neu an seinem Outfit war allerdings die dunkle Sonnenbrille.
    «Wozu soll die Sonnenbrille gut sein, Lucas?», fragte Kat und trat auf ihn zu.
    Der Totengräber ließ die Harke fallen und lehnte sich an den nächsten Grabstein. «Damit schütze ich meine Augen vor der Sonne.»
    Kat blickte zum Himmel empor. Es war dicht bewölkt, von Sonne keine Spur.
    «Und was ist der eigentliche Grund?»
    «Haben Sie mich nicht schon genug gepiesackt?», entgegnete er. «Ich bin sauber geblieben, wie ich’s diesem Arschloch von der Landespolizei versprochen habe.»
    Kat zweifelte nicht daran. Das Loch, in dem er seine Kunden lebendig begraben hatte, war im Juli zugeschüttet, der von Bob McNeil gekaufte Sarg entsorgt worden. Einmal in der Woche kam Carl auf den Friedhof, um sicherzustellen, dass Lucas sein Gewerbe nicht heimlich wieder aufgenommen hatte. Bislang spurte er.
    «Ich will Sie nicht piesacken. Ich will nur wissen, wo Sie letzte Nacht waren.»
    «Das geht Sie gar nichts an.»
    Doch, es ging sie etwas an, auch wenn Gloria Ambrose von ihr verlangte, auf Abstand zu gehen. In ihrer Stadt waren schreckliche Dinge passiert, und sie wurde das Gefühl nicht los, dass Lucas irgendetwas damit zu tun hatte. Sie bereute zwar nicht, seinem Bewährungshelfer die nächtlichen Umtriebe auf dem Friedhof verschwiegen zu haben, schließlich hatten sie Lucas den Hinweis auf Arthur McNeil zu verdanken gehabt. Trotzdem, der Totengräber führte irgendetwas im Schilde, und Kat wollte nicht warten, bis ihm das BCI auf die Schliche kam.
    «Waren Sie wieder im
Jigsaw
? Damit reden Sie sich doch immer raus.»
    «Ich rede mich nicht raus. Da war ich wirklich.»
    «Und das wird mir auch bestätigt, wenn ich nachfrage?»
    «Ja. Genau wie beim letzten Mal, als Sie glaubten, ich wäre Meister Tod.»
    Kat ließ es dabei bewenden. Sie war erschöpft und fand die unergiebigen Gespräche mit Lucas Hatcher alles andere als aufbauend.
    Als sie gerade gehen wollte, bückte sich Lucas, um den Rechen aufzuheben. Dabei rutschte ihm die Sonnenbrille von der Nase. Zwar beeilte er sich, sie wieder zurückzuschieben, doch hatte Kat das riesige Veilchen schon gesehen, das sein linkes Auge verunzierte und erst wenige Stunden alt zu sein schien.

Zweiunddreißig
    «
Henry! Pass doch auf!»
    Er hatte diesen Traum schon so oft gehabt, dass er wusste, wie es weiterging. Zuerst war da dieser Schrei, dann tauchte vor ihm der quergestellte Lastwagen auf wie eine Geistererscheinung, die aus dem Regen kam. Der Fahrer rannte auf die Straße hinaus. Sein eigenes Auto geriet ins Schleudern und raste auf den Lastwagen zu. Der Fahrer flog über die Kühlerhaube, und dann – das Unausweichliche.
    Diesmal aber nahm der Traum eine andere Wendung. Nach dem warnenden Schrei klang Gias Stimme plötzlich ganz normal, besorgt zwar, aber gedämpft.
    «Henry», sagte sie, die Hände unter den kugelrunden Bauch gelegt. «Es nimmt ein schlimmes Ende.»
    Aus den Augenwinkeln sah er schemenhaft den Lastwagen. Er beachtete ihn nicht weiter.
    «Ja, ich weiß», sagte er. «Dass es so kommen muss, tut mir schrecklich leid.»
    Der Lastzug war jetzt gut zu erkennen. Er nahm die gesamte Straßenbreite ein. Am Rand zeigte sich eine Gestalt. Sie kam auf ihn zugelaufen.
    «Zu spät», sagte Gia. «Das schaffen wir nicht mehr.»
    Der LKW -Fahrer prallte vor die Windschutzscheibe und wurde über das Dach geschleudert. Henry hielt den Blick auf Gia gerichtet. Sie sah ihn so liebevoll an, dass er wünschte, sie beide würden für immer in dieser Pose verharren.
    Eine Träne benetzte seine Wimpern und lief ihm dann über die Wange. Gia wischte sie mit der

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