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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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aufgebrochen, um in dem Thai-Restaurant zu essen, das sie beide schätzten. Es war kein besonders schickes Lokal, einfach ein schlichtes familiengeführtes Vorortrestaurant. Was Henry an diesem Restaurant reizte, war seine scharfe Küche.
    Um ihm ihren Wunsch schmackhaft zu machen, hatte Gia auf einen
Newsweek
-Artikel aufmerksam gemacht, in dem davon die Rede war, dass scharfe Gewürze die Wehen auslösen konnten. Obwohl sie darüber lachte, wusste Henry, dass sie sich diese Wirkung heimlich erhoffte. Sie konnte es kaum erwarten, endlich Mutter zu werden, und auch Henry war bereit.
    Es regnete, als sie auf der Interstate 279 die Stadt hinter sich ließen. Genau, wie es der Wetterbericht vorausgesagt hatte, kein Grund, sich Sorgen zu machen.
    Das Essen war extrascharf zubereitet und wie gewöhnlich ausgezeichnet. Zum Nachspülen trank Henry Singha-Bier. Vier Flaschen. Er dachte, Gia könnte fahren, wenn er nicht mehr dazu imstande wäre.
    Es regnete immer noch, als sie das Restaurant verließen, allerdings sehr viel heftiger. Gia fühlte sich nicht wohl. Sodbrennen, sagte sie. Vom stark gewürzten Essen.
    Also setzte sich Henry ans Steuer. Er war nicht betrunken, nur ein wenig angeheitert, und traute sich durchaus zu, sie beide sicher nach Hause zu bringen.
    Wieder auf der Interstate 279, überraschte sie ein gewaltiger Wolkenbruch, von dem im Wetterbericht nicht die Rede gewesen war. Die Scheibenwischer hatten den Wassermassen nichts entgegenzusetzen.
    Henry fuhr vorsichtig, weit unter dem Tempolimit. Man konnte so gut wie überhaupt nichts sehen, aber es waren fast keine Fahrzeuge unterwegs, auf die man hätte achten müssen. Solange er sich an der Mittellinie orientieren konnte, glaubte Henry auf der sicheren Seite zu sein.
    Und dann platzte Gias Fruchtblase.
    Auf die Straße konzentriert, hörte Henry nur, wie sie vor Schreck nach Luft schnappte und sich ein Schwall auf den Beifahrersitz ergoss.
    «Ich glaube, es geht los», sagte sie.
    Henry blieb ruhig. Er war darauf gefasst gewesen, wenn auch nicht unbedingt auf dieses Szenario. Jedenfalls sah er keinen Grund zur Panik. Schließlich brauchte er nur das nächste Krankenhaus anzusteuern. Fraglich war nur, wie er dorthin kam. Hinweisschilder, die ihn hätten führen können, waren vor lauter Regen nicht zu erkennen.
    Als die ersten Wehen einsetzten, beschleunigte Henry auf fünfzig Stundenkilometer. Nach dem zweiten Mal war er bei sechzig, und jedes Mal, wenn Gia aufstöhnte und nach dem Armaturenbrett griff, drückte er das Gaspedal ein bisschen weiter durch.
    «Ich glaube, es will raus», sagte sie und biss die Zähne zusammen.
    Henry fuhr viel zu schnell, obwohl sich der Regen wie eine Wand vor ihnen aufgebaut hatte. Seine geliebte Frau hatte Schmerzen, und sein erstes Kind war unterwegs. Er konnte jetzt nicht langsamer werden.
    Als die Wehen in kürzester Zeit aufeinanderfolgten und Gia vor Schmerzen nicht mehr an sich halten konnte, beschleunigte er auf über hundert Stundenkilometer. Er warf ihr einen Blick zu und sah, dass Gia den Gurt gelöst hatte, um sich Platz zu verschaffen. Sie hielt den Bauch mit einer Hand, klammerte sich mit der anderen am Sitz fest und starrte nach vorn auf die Straße.
    Plötzlich riss sie die Augen auf.
    «Henry! Pass doch auf!»
    Jetzt sah auch er den Lastwagen. Der Fahrer war aus der Kabine gesprungen und rannte über die Straße. Ihr Wagen raste unaufhaltsam darauf zu.
    Das Letzte, woran sich Henry erinnern konnte, war der platzende Airbag, auf den er aufprallte.
    Sonst an nichts mehr.
     
    Henry wunderte sich selbst am meisten darüber, dass er von alldem berichtete, ohne eine einzige Träne zu vergießen. Aus Angst, die Fassung zu verlieren und nur noch zu schluchzen, hatte er es bislang immer vermieden, sich jemandem anzuvertrauen. Doch jetzt schluchzte und weinte nicht er, sondern Kat.
    «Drei Wochen später wachte ich im Mercy Hospital auf der Station für Verbrennungen auf. Man hatte mich in ein künstliches Koma versetzt, weil nur so überhaupt Heilungschancen bestanden.»
    Als er wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte er sich von etlichen Ärzten mit grauen Gesichtern und ernsten Mienen umringt gesehen. Sie erklärten ihm, dass das Auto Feuer gefangen und er schwere Verbrennungen erlitten habe. Sein Gesicht sei vom Ohr bis zu den Lippen von einer Glasscherbe aufgeschnitten worden.
    «Und dann sagten sie mir, dass Gia sofort tot war», murmelte Henry. «Und mit ihr ist das Baby gestorben. Sie waren eine Woche

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