Das Schweigen des Lemming
Piccoloflöte. Was will er nur, was will dieser Kerl von mir?Versucht er, die Sache jetzt mir in die Schuhe zu schieben? Mir, dem Wächter des Geiers, dem Hüter des Gnus? Als wäre ich einer jener verschrobenen Feuerwehrmänner, die man zuweilen mit leeren Kanistern aus brennenden Scheunen huschen sieht? Unwillkürlich verschränkt er die Arme, streckt Brustkorb und Kinn vor, hält Hörtnagls prüfenden Blicken mit trotzigen stand.
«Nein, Herr Direktor. Ich habe einen kranken Kollegen vertreten.»
«Einen Kollegen also … Verstehe. Vielleicht sollten Sie ja … Nein, Blödsinn, was red ich da.» Hörtnagl wischt den begonnenen Satz mit einer energischen Geste vom Tisch. «Sie werden schon wissen, was zu tun ist. Ich vertraue Ihnen voll und ganz, Herr Wallisch.»
Die Piccoloflöten verstummen. Falscher Alarm. Was bleibt, ist ein vages Gefühl der Verwirrung. Was wollte Hörtnagl eigentlich sagen?
«Was ich eigentlich sagen wollte, ist nur, dass Sie völlig freie Hand haben bei Ihren Ermittlungen. Sie können die Sache angehen, wie Sie wollen, mit einer kleinen Einschränkung allerdings …»
Hörtnagl lehnt sich zurück und öffnet eine Schublade. Holt ein weißes Kuvert heraus und schiebt es dem Lemming über den Tisch.
«Ich wünsche, auf dem Laufenden gehalten zu werden, Herr Wallisch. Und zwar Tag und Nacht, wann immer es neue Entwicklungen gibt. Der Informationsfluss darf nicht versiegen, verstehen Sie? Hier», er deutet auf den Briefumschlag, «ist meine Nummer, mein rotes Telefon sozusagen. Gehen Sie sorgsam damit um, die ist nur wenigen Leuten bekannt …»
Dem Finanzminister beispielsweise, fährt es dem Lemming durch den Sinn. Wie schön, nun endlich auch zur Elite des Landes zu gehören …
«Und ich möchte, dass das auch so bleibt. Handy haben S’?»
«Ich … Nein, um ehrlich zu sein. Ich bin da wohl ein bisschen … altertümlich …»
«Dann kaufen Sie sich eins, gleich anschließend. Diese Wertkartenhandys bekommt man heutzutage schon im Supermarkt. Völlig problemlos. Einschalten, telefonieren. Alles klar, Herr Wallisch?»
«Ja … Ich denke schon.»
«Gut.»
Die Audienz ist beendet. Jochen Hörtnagl erhebt sich und bedeutet dem Lemming vorauszugehen. Der tut, wie ihm geheißen, aber nicht ohne noch einmal den Kopf zu wenden, um einen letzten Blick auf das Gemälde über dem Schreibtisch zu werfen.
Die Schlüsselfrage, die ein Detektiv am Anfang jeder Ermittlung zu stellen hat, fällt ihm natürlich erst ein, als er wieder aus dem Haustor tritt. Nein, es ist nicht die Frage nach dem Wann, dem Warum und dem Wo. Die Frage lautet: Wie viel? Soll er das Telefon, auf dessen Anschaffung Hörtnagl bestanden hat, etwa aus der eigenen Tasche zahlen?
Undenkbar, jetzt wieder umzukehren, unzumutbar, um das zu betteln, was ihm von Rechts wegen zusteht. Mag sein Auftraggeber auch steinreich sein, einen ganz speziellen Stein wird er niemals besitzen: den aus der Krone des Lemming nämlich.
Trotzdem ärgerlich. Normalerweise würde er den beiden Männern seine Hilfe angeboten haben, die am Ende der Straße erfolglos versuchen, ihr Auto in Gang zu bringen. Sie sitzen schweigend in dem grünen Käfer, lauschen dem heiseren Krächzen des Anlassers und scheinen schon zu überlegen, wer denn nun anschieben soll. Ganz sicher nicht ich, denkt der Lemming und biegt rasch um die Ecke, dem nächsten Supermarkt entgegen.
Später erst wird ihn ein jäher Verdacht in sein schwarzes Jackett greifen lassen, um das weiße Kuvert herauszuziehen.Eine plötzliche Ahnung, die sich bereits in der nächsten Sekunde verdichtet, verstofflicht und knisternde Wirklichkeit wird. Zehn druckfrische Scheine stecken in Hörtnagls Briefumschlag, fünftausend Euro … Genug wohl für ein neues Handy. Und für einen neuen Pinguin dazu.
5
In unmittelbarer Nähe der Strudlhofstiege befindet sich eine Reihe von Gebäuden und Institutionen, die das morbid-pathologische Herzstück des Stadtteils, der Stadt und des Landes bilden. Die amerikanische Botschaft ist nicht gemeint. Sie liegt zwar gleich rechts um die Ecke, verbarrikadiert und gesichert wie eine tödliche Leprastation, doch nimmt sie vergleichsweise wenig Platz ein. Von ein paar vermummten Polizisten observiert, dämmert sie in der eigens abgesperrten Boltzmanngasse vor sich hin, als wäre sie der isolierte Keimling einer pandemischen Seuche, gegen die man sich in Österreich noch immer weitgehend resistent wähnt.
Nein, es sind nicht die
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