Das Schweigen des Lemming
Körperhygiene geleistet. In den folgenden Wochen konnte man nämlich einen sprunghaften Anstieg ganz spezieller Werbespots verzeichnen, besonders in der teuersten Werbezeit, also kurz vor dem Hauptabendprogramm: Shampoo, Shampoo und noch einmal Shampoo …»
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Die Galerie
Konodul
liegt mitten im Herzen Wiens, kaum hundert Meter vom Stephansplatz entfernt. Groß und weiß sind die Räume im Souterrain, die jeglichen Zierrats, jeglicher baulichen Schnörkel entbehren. Eine spartanische Bühne, die ihrer Hauptdarstellerin bescheiden den Vortritt lässt: Die Kunst braucht weder Rahmen noch Kulissen; was von ihr ablenkt, schmälert den Genuss. So wie sich in der Regel auch mit leerem Kopf am besten meditieren lässt …
Seinen vollen Kopf entleeren, das ist auch der Plan des Lemming gewesen. Und seinen leeren Magen füllen. Verschnaufen wollte er, in aller Ruhe sich ins nächste Wirtshaus setzen und sich Otto Plessels braune Gedankenbrühe mit einer warmen Leberknödelsuppe und einem kühlen Seidel Bier aus dem Hirn spülen. Ein kurzer Zwischenstopp in seiner Wohnung, eine Dusche und ein frisches Hemd, und wieder hinaus in den drückenden Spätsommerabend. Kaum aber war er aus dem Haustor getreten, da wurde seine ohnehin schon knapp bemessene Erholungsfrist verkürzt, beschnitten, auf nullreduziert. Walla und Pekarek haben ihn auf der Straße erwartet, um ihn – mit der ihnen eigenen Höflichkeit – um den Rest ihres Lohns zu bitten.
«Was schaust denn so grantig?», hat Walla mit breitem Grinsen gemeint. «Da samma: Versprochen is versprochen …»
In jedem Menschen steckt halt auch ein bisschen Zuverlässigkeit, hat der Lemming gedacht und ist apathisch zurück in den dritten Stock getrottet, um das Geld zu holen. Er hat den flinken Finger und den Schmierer nicht in die Wohnung gebeten: Zwar gibt es – abgesehen vielleicht von dem echten Riedmüller auf seinem Jackett – so gut wie nichts, was einen Einbruch lohnen würde, aber Vorsicht ist ja bekanntlich die Mutter der Porzellankiste. Auch wenn man gar kein Porzellan besitzt.
Obwohl er die Geldübergabe rasch hinter sich bringen wollte, ganz gelungen ist ihm das nicht. Eine gute halbe Stunde lang haben die beiden Strizzis versucht, ihm Einzelheiten über sein Gespräch mit dem Vergaser zu entlocken, haben gefragt, gebohrt, gelöchert, sind ihm endlich bis zur Straßenbahnstation gefolgt, um doch noch die eine oder andere Information aus ihm herauszukitzeln. Mindestens zehnmal hat er ihnen versichert, dass Plessel nichts ahnte von ihrem Verrat; trotzdem haben sie erst von ihm abgelassen, als er endlich in den D-Wagen stieg.
Und jetzt ist er fast schon zu spät, der Lemming.
Dienstag, 2. September, 19.30 Uhr
Eröffnung der Ausstellung
HERRMANN RIEDMÜLLER
EIGENHEITEN
Einführende Worte: Dr. Gernot Halbsund
Musikalischer Beitrag: Pen Gwyns Arch
Der Künstler ist anwesend.
Eben im Begriff, die Milchglastür zur Galerie aufzudrücken, hält er inne. Lässt die Augen noch einmal über das Plakat wandern, das neben dem Eingang hängt. Zwei Fragen drängen in sein Bewusstsein, deren erste sich, kaum gestellt, wie von selbst beantwortet:
Pen Gwyns Arch
… Wo habe ich diesen Namen schon gelesen? Natürlich, so schießt es ihm durch den Kopf, gestern, auf der khakifarbenen CD in Pokornys verwüsteter Wohnung. Ein eigentümlicher Name, den sich Pokornys Band da gewählt hat …
«Pen Gwyns Arch», murmelt der Lemming vor sich hin, «Pen Gwyns Arch …» Schon bahnen sich die Laute ihren Weg vom Mund zum Ohr, werden gedreht und gewendet, phonetisch verknüpft und gedanklich durchgewalkt, um mit dem gleichen Tonfall, aber anders assoziiert, noch einmal aus dem Mund zu strömen: «Penguin’s Arch … Die Arche des Pinguin …»
So schließen sich also die Kreise, und nicht nur jene zwischen Lippen und Gehör.
Die Antwort auf die zweite Frage kennt der Lemming nicht. Noch nicht. Nur wenige Meter entfernt, befindet sie sich im Inneren der Ausstellungsräume: Ist der Künstler wirklich anwesend? Besitzt Riedmüller nach dem gestrigen Überfall, nach der nächtlichen Attacke von Walla und Pekarek tatsächlich die Nerven, seiner Vernissage beizuwohnen?
Der Lemming öffnet die Tür und prallt zurück. Ungeheuer ist die Menschenmenge, die unter ihm durch die Räume flutet und die Treppe herauf bis zum Eingang wogt, ein selten gesehenes Getümmel, wenn man einmal von Rockkonzerten, Oktoberfesten und nahöstlichen Trauerzügen
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