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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Soundsovielten zu einem informellen Treffen in der Galerie und so weiter und so fort.
    Du weißt ja: Wo das Fernsehen ist, da kriegt gleich alles einen offiziellen Touch. Man zeigt sich von der besten Seite und stellt keine skeptischen Fragen mehr. Falls also einer der Managernoch einen letzten Rest von Misstrauen gegen die ganze Sache gehegt hat, dann waren seine Zweifel spätestens in dem Moment wie weggewischt. Vor der Linse hat man weltgewandt zu sein, da lässt man sich grundsätzlich keine Ausweise oder sonstigen Legitimationen zeigen, schon gar nicht, wenn man aus der Werbebranche kommt: Geschenkten Gäulen schaut man nicht ins Maul, und so ein Gratisbeitrag in den Abendnachrichten ist immer ein Geschenk. Fast immer   …
    ‹Wie Sie sehen können, herrscht schon jetzt ein großes mediales Interesse an unserem Vorhaben›, hat der Adler mit einer ausholenden Geste zu den Kameras erklärt. ‹Dann wollen wir doch gleich in medias res gehen   …›
    Und er ist langsam durch die Ausstellung geschlendert, die ganze Gruppe im Schlepptau, während die Löwin das eine oder andere Bild erklärt hat. Bis sie schließlich alle vor einem Gemälde des großen Venezianers Tiepolo stehen geblieben sind.
Phaeton und Apollo
, eine Ölstudie, die jene Geschichte aus der griechischen Mythologie erzählt, in der Phaeton, der Sohn des Sonnengottes Helios, seinen Vater darum bittet, einen Tag lang den Sonnenwagen von Osten nach Westen lenken zu dürfen. Der Bub scheitert kläglich, die Pferde gehen durch, und der Wagen zieht schon bald eine Brandspur über die Erde, verwüstet buchstäblich ganze Landstriche. Der alte Götterzampano Zeus schaut eine Weile zu, aber irgendwann platzt ihm der Kragen: Er setzt dem Spuk ein Ende, indem er einen seiner zielgenauen und letalen Blitze auf Phaeton schleudert.
    Jetzt hast du bei Tiepolo einen beachtlichen Haufen nackter Leute auf dem Bild, die da wild durcheinander kugeln: Wenn sie nicht alle so fesch wären, könnte man schon fast an eine dieser berüchtigten Klubsaunas denken. Aber oben, im hell erleuchteten Wolkengewirr, steht eine wunderschöne junge Frau, die von dem ganzen Tumult völlig unbeeindruckt scheint. Sie steht da und streckt den Arm zur Seite wie einModel, das zum Beispiel   … eine Flasche Duschgel präsentiert   …
    ‹Das ist ja unseres!›, hat in dem Moment einer der Marketingmenschen gerufen und ist ganz aufgeregt vor dem Gemälde auf- und abgehüpft. Ein durchtrainierter Mann um die fünfzig, mit markantem Gesicht, Maßanzug und – du wirst es nicht glauben – einer Shampooflasche auf der Krawatte.
    Und da ist der Schalk mit dem Adler endgültig durchgegangen. Er hat in sein Sakko gegriffen und hat einen Kugelschreiber herausgeholt.
    ‹Es wäre uns eine Freude, wenn Sie unser Projekt   … sozusagen eröffnen würden.› Mit einer respektvollen Verbeugung hat er dem Duschgelmann den Stift hingestreckt. ‹Als kleine Geste sozusagen. Sie können gar nichts falsch machen, den Rest erledigen dann sowieso unsere Restauratoren   …›
    ‹Meinen Sie   … Meinen Sie wirklich? Es wäre mir   … eine Ehre   …› So überwältigt er auch getan hat, er hat nicht lange gezögert, der aalglatte Kerl: Unter den neidischen Blicken seiner Kollegen hat er sich den Stift geschnappt, um sich mit einem gezierten ‹Da könnte man ja fast Skrupel bekommen   …› dem Meisterwerk Tiepolos zu nähern.
    Und dann ist alles ganz schnell gegangen. Ein Saalordner, der der ganzen Gesellschaft schon längere Zeit mit argwöhnischen Blicken gefolgt ist, hat sich mit einem schrillen Aufschrei zwischen den Mann und das Bild geworfen, gleich darauf haben Alarmsirenen aufgeheult, die Gruppe ist auseinander gestoben wie ein hysterisches Affenrudel, während von allen Seiten weitere Ordner herbeigeeilt sind. Nur der Adler und die Löwin haben sich still und heimlich aus der Galerie gestohlen, um gemeinsam mit dem Bären und dem Floh ihren Triumph zu begießen.
    Außer ihnen hat aber noch jemand gejubelt, nämlich die Leute vom Fernsehteam. Sie haben die ganze Szene, wie man so sagt, im Kasten gehabt   …
    So eine Fernsehkamera ist auch nicht das Auge Gottes. Mag ja sein, dass sie unbestechlich ist, rein technisch betrachtet. Aber ob die Bilder, die sie aufnimmt, dann auch gesendet werden, ist eine andere Frage.
    Der Film ist jedenfalls nie ausgestrahlt worden, der Skandal ist nie aufgeflogen. Stattdessen haben die vier mit ihrer Aktion einen ganz entscheidenden Beitrag zur

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