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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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bei Ihrem Anruf – bei Ihrem wohlgemerkt bisher einzigen Anruf!»
    «Ja   … Alles klar, Herr Kommerzialrat   …»
    «Und?»
    «Was und?»
    «Herrgott, Wallisch! Glauben S’, ich will nur ein nettes Plauscherl mit Ihnen halten? Einen Fernkurs in Telefonie? Was ist jetzt? Wo steckt der Pokorny?»
    «Ja also   … Ich bin ihm auf den Fersen.»
    «Auf den Fersen?»
    «Ja   …»
    Hörtnagl holt hörbar Luft. «Jetzt passen S’ einmal auf», sagt er dann in bedrohlich ruhigem Tonfall, «hören S’ mir zu und passen S’ gut auf   … Die Fersen, Wallisch, die Fersen vom Pokorny interessieren mich einen Dreck. Morgen um Punkt drei Uhr Nachmittag erwarte ich Sie. Bei mir in der Strudlhofgasse. Und da bringen S’ mir entweder den Pokorny mit, und zwar den ganzen, oder Sie geben mir mein Kuvert zurück. Inklusive Inhalt, versteht sich. Haben Sie das, Wallisch? Haben Sie das kapiert?»
    «Ja, Herr Kommerz   …»
    «Wiederholen Sie’s!»
    «Morgen um fünfzehn Uhr bei Ihnen. Mit dem Pokorny   …»
    «Recht so.»
    Das Leuchten des Handys erlischt. Der Lemming trottet wieder in die Galerie zurück, wo das Konzert von
Pen Gwyns Arch
gerade zu Ende gegangen ist. Die Leute applaudieren höflich, nur Herrmann Riedmüller schlägt mit lautem, begeistertem Poltern seine weißen Gipsstümpfe aneinander.
    «Was hast du?», fragt er den Lemming, als er dessen besorgte Miene bemerkt. «Hat dir die Musik nicht gefallen?»
    «Doch, doch, es ist nur   … ein privates Problem   …»
    «Frauen?»
    «Nein   …»
    «Geld?»
    «Ja», seufzt der Lemming. «Ich fürchte, ich muss bis morgen fünftausend Euro beschaffen   …»
    Da zieht sich ein tröstendes Lächeln über Riedmüllers Gesicht.
    «Verkauf deinen Anzug», sagt er. «Ich mal dir einen neuen   …»

18
    So wie jede menschliche Tätigkeit ist auch das Essen immer mit Gefahr verbunden. Der Magentrakt ist ein fragiler Winkel, er bedarf oft gar keines schimmligen Schinkens, gar keiner fauligen Austern, um aus dem Gleichgewicht zu geraten: Manchmal ist es auch nur ein Geruch, ein unverdaulicher Anblick oder Gedanke, der das peristaltische Fass zum Überlaufen bringt. Trotzdem setzt sich der Mensch dem Risiko regelmäßiger Mahlzeiten aus – erstens, weil Hungern nur halb so viel Spaß macht, zweitens, weil es auf Dauer noch viel ungesünder ist. Nach seiner nachmittäglichen Übelkeit spürt der Lemming nun wieder ein mulmiges Gefühl, ein schmerzhaftes Krampfen in seiner Leibesmitte. Höchste Zeit für einen Imbiss, denkt er, höchste Zeit aber auch, mit Jochen Hörtnagls Sohn in Kontakt zu treten, ihm die eine oder andere Frage zu stellen.
    In einer Ecke der Galerie entdeckt der Lemming die kleine Schale, darin eine Hand voll vergessener Hülsenfrüchte, mit einem Wort Peanuts: nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber allemal besser als gar nichts.
    Der Lemming kaut und lässt die Augen schweifen. Das Gedränge hat inzwischen nachgelassen; zusehends leeren sich die Räume. Herrmann Riedmüller parliert mit zwei älteren Herren in der Nähe des Ausgangs, vereinzelt schlendern die letzten Besucher an den Gemälden vorbei, die man nun endlich ungestört besichtigen kann. Von nebenan ertönt ein Klappern und Poltern, gemischt mit metallischem Klirren: Anscheinend ist man gerade dabei, das Schlagzeug abzubauen. Der Lemming nimmt seine Erdnussschale und geht hinüber.
    Es ist ein befremdlicher Anblick, ein irritierendes Bild: Leonie Wernle schraubt Triangeln und Becken von den Stativen, hantiert mit Ständern und Gestängen, wuchtet Trommeln aufeinander, während ihre drei Kollegen keinen Finger rühren. Hörtnagl, Putzer und Murauer stehen in mehreren Metern Entfernung, schweigsam und steif wie Skulpturen. Zwartun sie so, als betrachteten sie die Werke Riedmüllers, doch ihre Blicke schweifen ständig von den Wänden ab, flackern nervös durch den Raum und kreuzen einander voll Misstrauen. Eine seltsame Spannung liegt über der Szene, ein Belauern, Bespitzeln, den anderen im Auge behalten. So finster und unnahbar wirken die drei, dass der Lemming mit einem Mal frösteln muss. Kurz nur trägt er sich mit dem Gedanken, diesen unsichtbaren Kreis aus Kälte und Argwohn zu stören. Dann aber tritt er, statt Florian Hörtnagl anzusprechen, auf Leonie Wernle zu.
    «Können Sie Hilfe gebrauchen?»
    Ein Ruck geht durch ihren Körper. Sie hebt den Kopf, wirft einen kurzen, beklommenen Blick in die Runde.
    «Nein   … Danke, Herr Wallisch. Ich schaff das schon

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