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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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der Kern dieser Art von Musik. Man sucht einander, umkreist einander, zieht gegeneinander zu Felde   … Mag sein, denkt der Lemming, dass irgendwann mit dem Verstehen auch das Mögen kommen wird – erstaunlich ist sie allemal, die Vorstellung von
Pen Gwyns Arch
: kein Suchen und Kreisen in diesem Fall, sondern ein rasender Kampf, ein akustisches Armageddon, in dem jeder dem anderen seinen Zorn entgegenschmettert   …
    «Sieben!» Herrmann Riedmüller ist voller Elan an die Seite des Lemming getreten. «Sieben Bilder sind schon verkauft! Stell dir vor!»
    «Bravo   …», murmelt der Lemming, der nach wie vor gebannt zur Bühne blickt: Der kleine, rundliche Klarinettist scheint eben die Waffen zu strecken; er lässt resignierend die Hände sinken und starrt ins Leere.
    «Da hast du ihn ja, deinen Hörtnaglbuben   …», meint Riedmüller und wiegt bedauernd den Kopf hin und her. «Besonders lang hat er ja nicht durchgehalten, der junge Herr Florian   …»
    «Und die anderen?», fragt der Lemming, «wer sind die anderen?»
    «Die Dame am Schlagwerk heißt Wernle, Leonie Wernle   …»
    «Ja, die hab ich schon kennen gelernt.»
    «Kraftvoll, nicht wahr? Man tät es gar nicht glauben, wenn man sie ohne Trommel und Tschinellen sieht. WütendeFrauen, herrische Weiber! Ein Segen, ein Gottesgeschenk! Aber mach dir keine Hoffnungen, sie ist schon vergeben, die Wernle. Der schwarze Wuschelkopf mit der Trompete ist ihr glücklicher Begatter: Arno Murauer, ein großes Talent, zumindest wenn er den Pinsel schwingt   …»
    Bei Leonie Wernle dürfte er seinen Pinsel wohl nicht mehr schwingen, denkt der Lemming und lauscht dem heftigen, geradezu hasserfüllten Gefecht, das zwischen Schlagzeug und Trompete tobt.
    «Aber bitte», fährt Riedmüller fort, «an der Leinwand sind sie ja alle ein bisserl geschickter als an ihren Instrumenten. Das betrifft auch den Giganten an der Tuba: Bernhard Putzer heißt er, mächtiger Mann, wie man sieht. Seine Malerei ist aber alles andere als grobschlächtig, im Gegenteil: sogar ein bisserl barock, tät ich fast sagen, äußerst fein und verspielt. Von den vieren ist der Putzer jedenfalls am längsten an der Akademie; der war schon ein alter Meister, wie ich erst Assistent geworden bin   …»
    Riedmüller verstummt und senkt konzentriert seine Brauen: Etwas tut sich vorne auf der Bühne, eine leichte Veränderung tritt ein. Die Schlacht zwischen Pauke und Trompete ist geschlagen; der stoppelbärtige Murauer verschnauft, während Leonie Wernle fortfährt, ihr Schlagzeug zu quälen. In ihr wüstes Getrommel mischt sich nun aber ein leiserer, wärmerer Klang: die Tuba. Mit tiefen, sanften Tönen umschmeichelt sie Wernles wirbelnde Schläge, besänftigt, beruhigt sie, spielt sie regelrecht weich   …
    Und just in diesem Augenblick gesellt sich ein weiterer, artfremder Klang dazu, ein neues Instrument, so furchtbar deplatziert, dass es dem Lemming bis tief in die Weichteile fährt. Und das ist kein Wunder: Immerhin dudelt und brummt es ihm auch aus der Hosentasche.
Ich wollt, ich wär ein Huhn
, flötet laut und fröhlich das magische Ei, wobei es seinen kleinen Eierbrüdern eine markerschütternde Massage verpasst   …
    «Ja?», keucht der Lemming mit hochrotem Kopf in das Handy, nachdem er sich auf die Straße geflüchtet und sein gebeuteltes Skrotum von den elektrischen Schlägen befreit hat.
    «Was ist los mit Ihnen, Wallisch!», bellt ihm die aufgebrachte Stimme Jochen Hörtnagls ins Ohr. «Den ganzen Tag wart ich schon auf Ihren Anruf!»
    «Herr Hört   … Herr Kommerzialrat   … Ich   … Woher haben Sie meine Nummer?»
    Kurzes, verblüfftes Schweigen am anderen Ende der Leitung. «Sagen Sie, Wallisch», meint Hörtnagl schließlich, «sind Sie wirklich so   … so weggetreten? Oder tun Sie nur so? Haben S’ schon einmal auf das Display von Ihrem Handy geschaut, wenn jemand Sie anruft?»
    «Ich   … Nein. Um ehrlich zu sein, Sie sind der Erste   …»
    «Der Erste   …», murmelt Hörtnagl, «der Erste   … Wissen S’, ich bin mir nicht mehr so sicher, dass Sie wirklich der Richtige sind für den Job   … Also, wenn Sie einen Anruf bekommen, dann können S’ die Nummer des Anrufers auf Ihrer Anzeige lesen. Verstehen Sie?»
    Statt einer Antwort nimmt der Lemming das Telefon vom Ohr und starrt darauf. Und wirklich: Schwarz auf Türkis, die Nummer Jochen Hörtnagls.
    «Ja   … Sie haben Recht   … Ich kann sie sehen, Ihre Nummer   …»
    «So wie ich gestern,

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