Das Schweigen des Lemming
Degas zum Beispiel, du weißt schon, der Franzose, der die kleinen Balletteusen in ihren Tutus gemalt hat, ist schon ein halbes Jahrhundert früher draufgekommen:
Ein Gemälde ist eine Sache, die so viel List, Bosheit und Laster erfordert wie die Ausführung eines Verbrechens
… Oder nimm das Zitat von Joseph Beuys, dem deutschen Fett- und Honigaktionisten:
Künstler und Verbrecher sind doch Weggefährten, beide verfügen über eine verrückte Kreativität, beide sind ohne Moral, nur getrieben von der Kraft der Freiheit
.
Drei Männer, ein Gedanke. Und die drei haben zweifellos gewusst, wovon sie sprechen. Die vier leider nicht: der Floh, der Adler, der Bär und die Löwin nämlich. Ihr letzter Streich hat zwar Schlagzeilen gemacht, enorme Schlagzeilen sogar. Aber nur deshalb, weil er gründlich in die Hose gegangen ist …
Es sind natürlich zwei Paar Schuhe, ob man nur darüber redet oder es auch wirklich tut. Und wenn man es tut, dann sind es wieder zwei Paar Socken, ob man sich die Freiheit aus infamen, eigennützigen Motiven nimmt oder um ihrer selbst willen, also quasi als Frage und Forderung an das menschliche Dasein. Der Dieb stiehlt das Hemd, weil’s ihm näher ist als der Rock. Der Künstler dagegen stiehlt es, um einen Drachen daraus zu bauen … Aber genug mit den textilen Vergleichen. Zurück zur letzten, zur vierten Geschichte.
Der Name
Ulay
sagt dir wahrscheinlich wenig. Uwe Laysiepen, ein deutscher Fotograf und Performancekünstler, der heute, glaub ich, in Holland lebt. In den siebziger Jahren jedenfalls hat dieser Ulay einen Aufsehen erregenden Coup gelandet. Er ist mit einem Filmteam in die Berliner Nationalgaleriegegangen und hat dort vor laufenden Kameras ein Bild gestohlen. Nicht irgendein Bild, wohlgemerkt, sondern eine Ikone der deutschen Romantik, Lieblingsgemälde des biederen deutschen Herrn Meier und – nebenbei – auch des niederen deutschen Herrn Hitler. Das mit Abstand berühmteste Bild Carl Spitzwegs nämlich:
Der Arme Poet
, man kennt es ja.
Laysiepen hat es von der Wand genommen und ist damit aus dem Museum spaziert. Dann ist er nach Kreuzberg gefahren. Und in Kreuzberg, in einem der damals noch ziemlich heruntergekommenen Zinshäuser, hat er bei einer türkischen Gastarbeiterfamilie angeklopft, hat um Einlass gebeten und hat ihnen Spitzwegs Original ins Wohnzimmer gehängt. Übers Sofa, gleich gegenüber vom Fernseher …
There is a criminal touch to Art
, so hat der Ulay die ganze Aktion genannt. Dass er die Leute vom Museum gleich anschließend angerufen hat, um ihnen zu sagen, wo sie das Gemälde abholen können, war ein moralisches Zugeständnis. Und sicher auch eine persönliche Vorsorge, ein Beweis für die künstlerische Absicht seines Raubzugs. Klar, da kann man im Fall der Fälle mildernde Umstände geltend machen …
Jetzt war die Sicherheitstechnik in den Siebzigern natürlich noch nicht, was sie heute ist. Lichtschranken, Wärmesensoren, Infrarotkameras, Druck- und Bewegungsmelder – was weiß ich, was es inzwischen alles gibt, um die Schätze dieser Welt vor Langfingern zu bewahren. Anders als die Reichtümer, die in Banken und Casinos gehortet werden, kannst du aber Kunstschätze nicht so einfach wegsperren; die sind ja schließlich zum Anschauen da. Und anders als den Banken und Casinos fehlt es den staatlichen Museen auch meistens am nötigen Geld, um ihre Alarmanlagen auf dem letzten Stand zu halten …
Ganz genau davon hat eines Tages der Bär berichtet.
Ihre Nebenjobs haben sie ja alle gehabt, bis auf den Flohselbstverständlich, dem sein betuchter Herr Vater das Studium finanziert hat. Die Löwin ist halbtags in einer Töpferei gestanden, um kleine Mozarts und Lipizzaner auf Zuckerdosen zu malen. Der Adler hat saisonweise als Souffleur gearbeitet, drüben im Akademietheater. Und der Bär … Ja, der Bär hat jedes Wochenende Dienst geschoben. Als Aufseher im Kunsthistorischen Museum.
‹Ein Wahnsinn›, hat der Bär zu den anderen gesagt, ‹was sich zurzeit bei uns abspielt. Mich persönlich betrifft’s ja nicht, ich bin ja nur tagsüber dort, aber in der Nacht … Ich sag euch, der Wachdienst rotiert. Dabei ist eh alles eingebaut in den Ausstellungsräumen: Videokameras, Bewegungsmelder … Und wozu? Einhundertsechs Fehlalarme hat’s gegeben im letzten Monat, das muss man sich einmal vorstellen. Die schauen schon gar nimmer nach, ob wirklich wer ein’brochen hat, die schütteln den Kopf, quittieren den Alarm und schlafen
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