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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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winkt den Lemming näher, lauscht in die Leitung und wartet.
    Freizeichen: Durch den großen schwarzen Hörer kann es sogar der Lemming hören. Dann ein Knacksen in der Leitung; Pokorny hebt theatralisch die Hand wie ein Magier vor seinem größten Trick und öffnet den Mund.
    «Stropek?», fragt Pokorny klar und deutlich.
    Man kann schon entsetzlich vernagelt sein. Und dabei fügt sich doch alles zusammen, liegt klar auf der Hand   …
    Als telefonierender Mensch kann man Gespräche auf drei verschiedene Arten beginnen, und man wird es – unabhängig davon, ob man anruft oder angerufen wird – in einem unscharfen, fragenden Tonfall tun. Ein schnödes «Hallo?» ist in der Regel die Wahl des Prosaikers: kühl, geschäftig, anonym, auch wenn der kommunikative Wert eines solchen «Hallo?» auf lange Sicht eher gering bleibt. Der Höfliche dagegen meldet sich mit seinen Namen, um Vertrautheit zu schaffen; er reicht dem Widerpart sozusagen die Hand durch den Hörer. Bleibt noch der Schneidige, Forsche: Er bedient sich eines martialischen Tricks, mit dem er seinen Gesprächspartner einzuschüchtern versucht: Gleich am Anfang des Telefonats nennt auch er einen Namen – den Namen des anderen allerdings, den Namen dessen, mit dem er zu sprechen glaubt.
    Vorhin, im Kaufhaus
Strawinsky
: ein Stropek, der sich mit «Wallisch?» meldet. Jetzt, im Wachhaus: ein Pokorny, der sich mit «Stropek?» meldet. Und am Montag, im Park des Clam-Gallas-Palais: ein Unbekannter, der «Pokorny?» in den Hörer raunt. Weil er Pokorny
erwartet
, nicht, weil er Pokorny
ist
… So nahe liegend. So einfach. Ganz einfach vernagelt.
    Der Lemming steht kopfschüttelnd da, während sein Kollege die Unterhaltung mit Stropek zu Ende führt. Der harsche Auftakt, den Pokorny dem Gespräch gegeben hat, erschwert es ihm nun, seinen Chef zu besänftigen: Man vergisst einen akademischen Titel nicht ungestraft. Nicht als Untergebener und schon gar nicht in Wien. Glücklicherweise meistert Pokornydie Prüfung, und er tut es mit dem Gestus despektierlicher Unterwürfigkeit.
    «Ja, Herr   … Natürlich weiß ich   … Doktor, ja   …
Doktor
Stropek   … Ja, ich, Pokorny   … Selbstverständlich, Herr Doktor   … Ja, der ist auch noch da   … Kann heimgehen, ja. Ich werd’s ihm ausrichten   … Also dann   … Natürlich   … Habe die Ehre, Herr Doktor   …»
    Mit dreifachem Kotau legt Pokorny den Hörer auf und grinst den Lemming an.
    «Verstehst?»
    Der Lemming versteht. Obwohl er nun, da er endlich versteht, nicht gerne versteht: Ein Holzweg wurmt erst dann so richtig, wenn man ihn verlassen hat, und er wurmt umso stärker, je länger man auf ihm gewandelt ist. Vier Tage lang hat er die Nummer des Monsters in seiner Tasche getragen; vier Tage lang hat er sich stur in den Rabbi Pokorny verbissen, statt der Fährte des Golems zu folgen. Das schmerzt.
    «Es wird Zeit, die Sache zu Ende zu bringen   …», murmelt der Lemming.
     
    Ein leises Rauschen erfüllt den Raum, dann ein fernes, rhythmisches Klopfen, gefolgt vom Tuten des Freizeichens. Die beiden Männer stehen am Schreibtisch, vor sich das magische Ei des Lemming. Es leuchtet, türkis und geheimnisvoll. «Was soll ich damit», hat Pokorny gefragt, als ihm der Lemming das Handy gereicht hat.
    «Anrufen. Ich will endlich wissen, wem ich   … wem wir das alles zu verdanken haben. Der Floh war’s jedenfalls nicht, und die Löwin ist’s auch nicht gewesen   …»
    «Warum nicht die Löwin?»
    «Weil das am Montag nicht ihre Stimme war. Es war zwar fast nur ein Flüstern, dumpf und verhalten   … Trotzdem eindeutig ein Mann.»
    «Aber   … Ich kann doch auch vom Dienstapparat   …»
    «Nein. Erstens kennt der   … der Drecksack meine Nummer schon, und zweitens will ich hören, was er dir mitzuteilen hat   …»
    Mit unverhohlenem Triumph hat der Lemming auf das Display des Handys gedeutet, auf den schillernden Schriftzug:
Frei sprechen
.
    «Allerhand   … Frei sprechen kann man selten   … Und was, bitte, soll ich ihm sagen, wenn er abhebt?»
    «Zuerst einmal findest du raus, wer’s überhaupt ist: der Murauer oder der Putzer. Und dann erklärst du ihm freundlich, dass wir jetzt die Polizei rufen   …»
    «Nein, Poldi! Nein!» Pokorny hat aufgestampft. «Wir können net die Polizei holen! Es hängen doch alle mit drin: der selige Floh, die Löwin   … Sogar du selber inzwischen. Seit Stunden vereint mit Cellini, da werden sie sich aber freuen, die Kieberer  

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