Das Schweigen des Lemming
…»
«Also gut … Du hast Recht … Dann sagst du ihm, dass wir das Salzfass noch heute Nacht ins Museum zurückbringen. Der Verräter ist entlarvt, das Fass hat seine Schuldigkeit getan …» Und so hat der Lemming, ohne einen weiteren Widerspruch zu akzeptieren, die ominöse Nummer zum zweiten Mal in sein Handy getippt.
«Pokorny?»
Heiser und gedämpft. Ein Raunen, genau wie am Montag. Der Lemming hält den Atem an.
«Ja», sagt Pokorny.
Kurz herrscht Stille im Äther.
«Josef Pokorny?»
«Ja, verdammt, ja. Wer spricht denn da?»
«Tut nichts zur Sache … Du hast meine Botschaft erhalten, Pen Gwyn?»
«Nein, natürlich nicht. Ich hab die Nummer einfach so erraten!»
Pokorny wirkt erregt. Auf seiner geröteten Nase glitzern Schweißtröpfchen. Mit sanften Gesten versucht der Lemming, ihn zu beruhigen.
«Komm schon, komm schon, lass die müden Scherze …», erwidert die Stimme. «Bist du … allein?»
«Ja …», meint Pokorny mit einem Seitenblick auf den Lemming, «alleine.»
«Gut … Ich will’s kurz machen, alter Mann: Du verdienst ja nicht so viel, dass du dir lange Telefonate leisten kannst. Bist du in Wien?»
«Ja.»
«Etwa gar bei deinen Viecherln? In Schönbrunn?»
«Ja.»
«Sehr gut, das trifft sich. Und hast du auch brav unser Kleinod bei dir?»
«Ja.»
«Na wunderbar. Unser Pokorny, wie er leibt und lebt: nicht immer korrekt, aber zuverlässig … Also pass auf: Damit du nicht so einsam bist, werden wir die Sache bei deinen Freunden erledigen, im Polarium. Ich schlage vor, in einer halben Stunde, also ganz genau … um zehn. Du stellst den Koffer neben dem hinteren Eingang ab und begibst dich sofort zu den Pinguinen, damit ich dich auch immer schön im Blickfeld hab. Gesicht zur Wand, versteht sich von selbst. Man wird dich zwar nicht von den anderen unterscheiden können, aber ich brauch sie ja schließlich nur abzuzählen: Mit dir sind’s dann wieder dreizehn komische Vögel, so wie vor meiner Warnung von Samstagnacht … Alles verstanden so weit?»
Die Gebärden des Lemming verändern sich jetzt, werden nervöser und drängender.
So geht das nicht!,
will er dazwischenrufen.
So war das nicht abgemacht!
Aber Pokorny weicht seinen Handzeichen aus, Pokorny lässt sich nicht beirren.
«Ja. Alles verstanden», sagt er.
«Gut … Ach ja, eine Kleinigkeit noch: Wenn du irgendwasmit mir probierst, Pokorny, irgendeine Finte oder einen Hinterhalt, dann mach ich sie kalt, deine Vogerln. Einen nach dem anderen, Stück für Stück. Und du darfst zuschauen …» Ein kurzes, scharfes Knacken in der Leitung: Das Gespräch ist beendet.
27
«Da hast du.»
Ohne lang zu überlegen, hebt Pokorny das Bündel aus dem Akkordeonkoffer. Das Bündel, den Wäscheberg: die Saliera.
«Ich geh alleine.»
Er steuert am verdutzten Lemming vorbei zur Tür, zieht sie auf und stapft ins Freie. Minuten vergehen, ehe Pokorny zurückkehrt, mit wehenden Haaren: ein streitbarer Krieger, vom Alter gebeugt, doch unbeugsam in seiner Kampfeslust. In seinen Händen schleppt er einen großen grauen Pflasterstein.
«Nimm sie», ächzt er und wuchtet den Stein in den Koffer. «Nimm sie und bring sie zurück. Der Pinguin hat noch ein Hühnchen zu rupfen …»
«Aber …»
«Nix aber.» Pokorny klappt den Koffer zu. «Ich bin der Dienst habende Wachbeamte, Herr Wallisch. Verlassen Sie umgehend mein Revier und sorgen Sie dafür, dass dieses … dieses Raubgut restituiert wird.»
«Aber …»
«Ja was denn noch?»
«Du kannst doch nicht … Du weißt ja nicht einmal, mit welchem von den Burschen du …»
Mit einer energischen Handbewegung schneidet Pokorny dem Lemming das Wort ab. Er wirft sich in Pose und beginnt – leise, aber wohlartikuliert – zu deklamieren. «Bär»,raunt Pokorny, «oder Adler. Das ist hier die Frage. Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern der infamen Bestie erdulden oder, mit Koffer und Elektrowagen, durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen – Nichts weiter …»
Pokorny lässt die Arme sinken und fixiert den Lemming mit bedeutungsvollem Lächeln.
«Du meinst … der Souffleur war’s? Der Arno Murauer? Weil er so … gemurmelt hat am Telefon?»
«Ich denk’s mir jedenfalls. Und mit dem Murauer werd ich schon fertig, Poldi. Da brauchst dich net sorgen, der ist ein Federgewicht gegen mich …»
«Aber … Wie soll ich denn die Saliera … Ohne Koffer …»
«Ich bitt dich, Poldi
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