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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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taten so, als bemerkten sie nichts, und sagten untereinander, der Mann bringt sich noch in Teufels Küche. Und wenn Lothar Grübbe allein im Park spazieren ging, sagte er mürrisch zu seiner Anna, es kann doch nicht sein, dass niemand aufbegehrt, das ist doch unmöglich. Und dann kam Franz von der Universität zurück, wo er seine Zeit damit vergeudet hatte, Gesetze zu studieren, die jetzt von den neuen Machthabern außer Kraft gesetzt wurden, und für Lothar Grübbe brach eineWelt zusammen, als sein Franz mit vor Begeisterung leuchtenden Augen zu ihm sagte, Papa, ich habe, wie der Führer es von uns verlangt, um Aufnahme in die SS gebeten und werde sicher genommen, weil ich nachweisen konnte, dass unser Stammbaum seit fünf oder sechs Generationen makellos ist. Und Lothar sagte verblüfft und entsetzt, was haben sie denn mit dir gemacht, Junge, wie kannst du nur …
    »Vater: Wir stehen am Beginn einer neuen Zeit und sehen einer strahlenden Zukunft entgegen.«
    Lothar war vor seinem begeisterten Sohn in Tränen ausgebrochen, und dieser hatte ihn ob seiner Schwäche und Weinerlichkeit gerügt. In der Nacht erzählte er es seiner Anna, verzeih mir, Anna, ich ganz allein bin schuld, weil ich ihm erlaubt habe, so weit weg von zu Hause zu studieren; und nun ist er vom Faschismus angesteckt, meine liebste Anna. Und Lothar Grübbe hatte noch lange Zeit Grund zum Weinen, denn eines schlimmen Tages schickte der junge Franz, der wieder von zu Hause weggegangen war, weil er die vorwurfsvollen Blicke seines Vaters nicht mehr ertrug, ein begeistertes Telegramm, in dem es hieß, Papa, die dritte Kompanie der Waffen-SS wird an die Südfront verlegt, stop. Endlich kann ich für den Führer mein Leben geben, stop. Wenn es so weit kommt, weine nicht um mich, stop. Ich werde ewig in Walhalla leben, stop. Und Lothar weinte und beschloss, den Inhalt des Telegramms für sich zu behalten, und in dieser Nacht erzählte er seiner Anna nichts davon.
    Drago Gradnik musste seine riesige Gestalt weit vorbeugen, um die dünne Stimme des Mannes in der Poststelle von Jesenice durch das Rauschen der von der Eisschmelze geschwollenen Save zu hören.
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Dieser Brief wird seinen Adressaten nie erreichen.«
    »Warum?«, fragte Gradnik mit Donnerstimme.
    Der alte Postbeamte setzte seine Brille auf und las laut vor: Fèlix Ardèvol, 283 Valencia ulica, Barcelona, Španija. Dann gab er dem Riesen den Brief zurück.
    »Der Brief wird unterwegs verloren gehen, Hauptmann. Alle Sendungen in diesem Postsack gehen nach Ljubljana.«
    »Ich bin Korporal.«
    »Das ist mir egal: Er wird trotzdem verloren gehen. Ist Ihnen bewusst, dass wir im Krieg sind?«
    Ganz gegen seine Gewohnheit wies Gradnik drohend auf den Beamten und sagte mit der tiefsten und unangenehmsten Stimme, die er aufbrachte, Sie lecken jetzt eine Fünfzig-Para-Briefmarke ab, kleben sie auf den Umschlag, stempeln den ab, stecken ihn in den Sack, den ich mitnehmen soll, und lassen mich gehen. Verstanden?
    Obwohl sie draußen schon nach ihm riefen, wartete Gradnik, bis der beleidigt schweigende Mann die Befehle dieses verrückten Partisanen befolgt hatte. Als er fertig war, steckte er den Brief in den Sack mit den wenigen Sendungen, die nach Ljubljana gingen. Der riesige Korporal nahm den Sack und ging hinaus auf die sonnige Straße. Zehn Männer riefen ungeduldig vom Lastwagen herab nach ihm, und als der Fahrer ihn herauskommen sah, ließ er den Motor an. Auf der Ladefläche lagen sechs oder sieben ähnliche Säcke, und daneben kauerte Vlado Vladić, rauchte, sah auf die Uhr und sagte, verdammt, Korporal, Sie sollten doch nur den Sack holen.
    Doch der Lastwagen mit den Postsäcken und einem guten Dutzend Partisanen konnte nicht losfahren, denn vor ihnen bremste ein auffälliger Citroën, drei Partisanen sprangen heraus und brachten ihnen die neuesten Nachrichten: Am heutigen Tag, dem Palmsonntag, waren drei Kompanien der SS-Division »Das Reich« in Slowenien eingerückt, während die Luftwaffe das Zentrum Belgrads in Schutt und Asche legte und die königliche Regierung Hals über Kopf floh, allen voran der König selbst. Kameraden, es ist Zeit, euer Leben für die Freiheit zu geben. Ihr werdet nach Kranjska Gora fahren und die Division der Waffen-SS aufhalten. Und Drago Gradnik dachte, nun werde ich also sterben, gelobt sei der Herr. Ich werde in Kranjska Gora mein Leben verlieren bei dem Versuch, eine unaufhaltsame Division der Waffen-SS aufzuhalten. Und er verzagte auch

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