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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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vornehmen, das ist die richtige Zeit zum Lesen. Erzähl mir mal, wie Tecla so ist.«
    Er sagte mir, sie sei so und so, habe zwei reizende Grübchen, und er habe sie am Konservatorium des Liceu kennengelernt, wo sie im Schumann-Quintett das Klavier und er die erste Geige spielte.
    »Spielt sie gut?«
    Wenn es nach ihm gegangen wäre, wären wir gar nicht losgekommen, und so schnappte ich mir meinen Anorak, sagte, komm mit, und ging mit ihm ins Deutsche Haus, wo es voll war wie immer. Ich hielt heimlich Ausschau nach Kornelia und einer ihrer Erfahrungen und hörte deshalb Bernat nur mit halbem Ohr zu. Der sagte gerade, nachdem er sicherheitshalber das Gleiche bestellt hatte wie ich, ich vermisse dich, aber ich will nicht im Ausland studieren und …
    »Das ist ein Fehler.«
    »Ich möchte lieber innere Landschaften bereisen. Deshalb habe ich auch angefangen zu schreiben.«
    »Das ist doch Blödsinn. Du musst reisen, dir Lehrer suchen, die dir mal kräftig den Staub abklopfen.«
    »Das Zeug hier ist ja widerlich.«
    »Nein: Es ist Sauerkraut.«
    »Wie?«
    »Xucrut – man gewöhnt sich dran.«
    Bislang keine Spur von Kornelia. Nach einer halben Wurst ging es mir schon besser, und ich hatte sie fast vergessen.
    »Ich will die Geige sausen lassen«, sagte Bernat, ich glaube, um mich zu provozieren.
    »Das verbiete ich dir.«
    »Wartest du auf jemanden?«
    »Nein, wieso?«
    »Nur so, du bist so … na ja, du siehst aus, als würdest du auf jemanden warten.«
    »Warum sagst du, dass du die Geige sausen lassen willst?«
    »Warum hast du aufgehört?«
    »Das weißt du doch. Ich kann nicht spielen.«
    »Ich auch nicht. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst: Es fehlt mir an Seele.«
    »Wenn du im Ausland studierst, wirst du sie finden. Nimm Unterricht bei Kremer oder bei diesem jungen Kerl, Perlman. Oder sorg dafür, dass Stern dich spielen hört. Hör mal, Bernat, in Europa gibt es eine Menge großer Lehrer, von denen wir nichts wissen. Mach Dampf. Gib alles. Oder geh nach Amerika.«
    »Als Solist habe ich keine Zukunft.«
    »Dummes Zeug.«
    »Sei still, du verstehst mich nicht. Ich kann nicht weiter kommen, als ich schon bin.«
    »Na gut, dann wirst du eben ein passabler Orchestermusiker.«
    »Ich will aber immer noch die Welt erobern.«
    »Die Entscheidung liegt bei dir: Entweder du wagst es,oder du wagst es nicht. Und die Welt kannst du von deinem Notenständer aus erobern.«
    »Nein. Es macht mir einfach keinen Spaß mehr.«
    »Bist du denn nicht glücklich, wenn du Kammermusik spielst?«
    Bernat zögerte einen Augenblick; zweifelnd starrte er die Wand an. Ich überließ ihn seinen Zweifeln, denn in diesem Augenblick kam Kornelia herein, Arm in Arm mit einer neuen Erfahrung, und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ich folgte ihr mit Blicken. Sie übersah mich geflissentlich und setzte sich hinter mich. Ich spürte eine fürchterliche Leere in meinem Rücken.
    »Vielleicht doch.«
    »Was?«
    Bernat sah mich verwundert an. Dann erklärte er geduldig. »Vielleicht bin ich ansatzweise glücklich, wenn ich Kammermusik spiele.«
    Mir war Bernats Kammermusik an diesem Abend völlig schnurz. Das Wichtigste war die Leere, das Prickeln in meinem Rücken. Ich drehte mich um und tat so, als hielte ich nach der blonden Kellnerin Ausschau. Kornelia lachte, während sie die in Plastik eingeschweißte Würstchenkarte studierte. Die Erfahrung hatte einen drohenden, widerwärtigen und völlig unpassenden Schnauzer und war das genaue Gegenteil der großen, blonden Erfahrung von vor zehn Tagen.
    »Was hast du?«
    »Ich? Was soll ich denn haben?«
    »Ich weiß nicht. Du bist so …«
    Adrià lächelte der Kellnerin zu, die gerade vorbeiging, und bestellte noch ein bisschen Brot, dann sah er Bernat an und sagte, nun sag schon, entschuldige, ich war bloß …
    »Also, wenn ich Kammermusik spiele, bin ich vielleicht …«
    »Siehst du? Und wenn du mit Tecla den gesamten Beethoven spielst?«
    Das Kribbeln im Rücken war so unvermindert heftig, dass ich nicht darüber nachdachte, ob ich gerade dummes Zeug redete.
    »Ja, das könnte ich. Aber wozu? Wer wird uns bitten, ein Konzert zu geben? Oder das Ganze auf ein Dutzend LPs aufzunehmen?«
    »Na, weißt du … Allein, dass man es tut … Entschuldige mich einen Augenblick.«
    Ich stand auf und ging aufs Klo. Als ich an Kornelia und ihrer Erfahrung vorbeikam, starrte ich sie an, sie hob den Kopf, sah mich, sagte hallo und widmete sich dann wieder der Würstchenkarte. Hallo. Als wäre es das

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