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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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ich in Tübingen studierte, war die Beziehung zu Bernat fast eingeschlafen. Ich schreibe keine Briefe, oder besser gesagt: Als ich jung war, schrieb ich keine Briefe. Bernats erstes Lebenszeichen war eine selbstmörderische Postkarte aus Palma gewesen, auf der – für die franquistische Militärzensur gut lesbar – geschrieben stand, ich spiele für den Leutnant des Regiments Kornett, spiele an mir selbst herum, wenn wir keinen Ausgang haben, und ansonsten spiele ich Geige, bis es den anderen zu den Ohren herauskommt. Ich hasse das Leben, das Militär, das Regime – sie können mich alle mal. Und wie geht’s Dir? Es war kein Absender angegeben, an den ich hätte zurückschreiben können, und so antwortete ihm Adrià an die Adresse seiner Eltern. Ich glaube, ich habe ihm von Kornelia erzählt, aber nur so nebenbei. Aber im Sommer fuhr ich nach Barcelona, und von dem Geld, das meine Mutter auf einem Konto für mich angelegt hatte, zahlte ich ein hübsches Sümmchen an Toti Dalmau, der damals schon Arzt war, und der sorgte dafür, dass mir bei den Untersuchungen im Militärkrankenhaus schwerwiegende Herz- und Atemprobleme bescheinigt wurden, die mich für den Dienst am Vaterland untauglich machten. Damit hatte sich Adrià für eine Sache, die ihm gerecht erschien, der Korruption bedient. Und ich bereue es nicht. Keine Diktatur hat das Recht, einem anderthalb bis zwei Jahre seines Lebens abzuverlangen, Amen.

25
    Er wollte mit Tecla kommen. Ich sagte ihm, ich hätte nur ein Bett in der Wohnung, und wenn sie sich amüsieren wollten … Das war ein Vorwand, die beiden hätten ja einfach in die Jugendherberge gehen können. Aber dann stellte sich heraus, dass Tecla sowieso nicht kommen konnte, weil sie zu viel Arbeit hatte, was – wie er mir später gestand – in Wirklichkeit bedeutete, dass Teclas Eltern ihr nicht erlaubten, mit diesem schlaksigen Kerl mit den Zottelhaaren und dem traurigen Blick eine so lange Reise zu unternehmen. Ich war froh, dass er nicht mit seiner Freundin kam, denn sonst hätten wir uns nicht in Ruhe unterhalten können, was in Wirklichkeit bedeutete, dass es Adrià vor Neid den Atem verschlagen und er Bernat gesagt hätte, was willst du denn mit einer Frau, weißt du nicht, dass Freunde das Wichtigste sind, Blödmann? Freunde! Und das hätte er nur aus bbeschissenem Neid und aus Verzweiflung gesagt, weil ich sah, dass mein Liebeskummer mit Kornelia den gleichen Weg ging wie mit dir, Liebste, mit dem einzigen Unterschied, dass ich Kornelias Geheimnis kannte. Ihre Geheimnisse. Und was dich betraf … Ich fragte mich immer noch, warum du nach Paris verschwunden warst. Kurz gesagt: Bernat kam allein, mit einer Übungsgeige und großer Lust zu reden. Es kam mir so vor, als wäre er noch ein Stückchen gewachsen. Er war schon eine gute Handbreit größer als ich. Und er begann allmählich, die Welt ein bisschen weniger ungeduldig zu betrachten. Manchmal brachte er sogar ein grundloses Lächeln zustande, einfach so, weil das Leben schön war.
    »Bist du verliebt?«
    Sein Lächeln wurde breiter. Ja, er war verliebt. Hoffnungslos verliebt, nicht wie ich hoffnungslos verwirrt über eine Kornelia, die, sobald ich wegsah, mit einem anderen mitging, weil wir in einem Alter waren, in dem man Erfahrungen sammeln muss. Ich beneidete Bernat um sein ruhiges Lächeln. Aber eine Kleinigkeit machte mich stutzig: Als er es sich in meinem Zimmer auf dem Klappbett bequem machte, öffnete er den Geigenkasten. Jeder mehr oder weniger professionelle Violinist schleppt in seinem Geigenkasten nicht bloß die Geige mit sich herum, sondern sein halbes Leben: zwei oder drei Bögen, Harz für die Saiten, ein Foto, Partituren in einer Seitentasche, Ersatzsaiten und die einzige jemals erschienene Konzertkritik aus einer Regionalzeitung. Bernat hatte seine Übungsgeige dabei, seinen Bogen und sonst nichts. Ach ja, und eine Mappe. Die Mappe war das Erste, was er aufschlug. Darin lag ein achtlos zusammengehefteter Text, den er mir gab. Hier, lies mal.
    »Was ist das?«
    »Eine Erzählung. Ich bin Schriftsteller.«
    Der Tonfall, in dem er sagte, ich bin Schriftsteller, gefiel mir nicht, er hat mir nie gefalllen. Mit dem für ihn typischen Mangel an Feingefühl erwartete Bernat von mir, dass ich die Erzählung auf der Stelle las. Ich nahm den Text, las den Titel, überflog die Geschichte und sagte, du, das muss ich mir in Ruhe ansehen.
    »Klar, klar. Ich gehe ein bisschen spazieren.«
    »Nein. Ich werde sie mir heute Abend

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