Das Schweigen des Sammlers
über das exemplarische Leben des heiligen Ot lauschte, der Bischof von Urgell gewesen und, wie man soeben erfuhr, in diesem Kloster begraben worden war. In den traurigen Mienen der etwa dreißig Mönche spiegelte sich die Sehnsucht nach jenen glücklicheren Tagen wider.
Am nächsten Morgen machten sich noch vor Tagesanbruch zwei Mönche auf den Weg in Richtung Norden, zum zwei Tagesreisen entfernt gelegenen Kloster von Sant Pere de Burgal, wo sie, o Jammer, das Allerheiligste abholen sollten, weil die dortige Klostergemeinschaft ausgestorben war.
»Was führt Euch zu uns?«, erkundigte sich nach dem Frühstück der Pater Prior von Santa Maria höflich, während er mit dem Besucher im Kreuzgang flanierte, durch den der vom Nogueratal hereinströmende Nordwind pfiff.
»Ich suche einen Eurer Brüder.«
»Aus dieser Klostergemeinschaft?«
»Ja, Vater. Ich bringe ihm eine persönliche Botschaft von einem Verwandten.«
»Und wer ist es, damit ich ihn rufen lasse?«
»Fra Miquel de Susqueda.«
»Hier gibt es keinen Bruder dieses Namens, Herr.«
Als er sah, dass den anderen schauderte, wedelte er entschuldigend mit der Hand und sagte, es ist ein sehr kalter Frühling, Herr.
»Fra Miquel de Susqueda, der eine Zeitlang dem Orden des heiligen Dominikus angehörte.«
»Der ist ganz gewiss nicht hier, Herr. Und welche Botschaft sollt Ihr ihm übermitteln?«
Der edle Fra Nicolau Eimeric, Großinquisitor der Königreiche von Aragonien, Valencia und Mallorca und des Fürstentums Katalonien, lag in seinem Kloster in Girona auf dem Totenbett, betreut von einem Zwillingspaar, zwei Laienbrüdern, die sein Fieber mit nassen Tüchern und gemurmelten Gebeten zu lindern versuchten. Als er hörte, wie die Tür aufging, richtete der Kranke sich auf. Man sah ihm an, dass seine schwachen Augen kaum noch etwas erkannten.
»Ramon de Nolla?«, fragte er, und dann, erregt: »Seid Ihr es?«
»Ja, Exzellenz«, antwortete der Ritter und verbeugte sich ehrfürchtig vor dem Bett.
»Lasst uns allein.«
»Aber Exzellenz!«, protestierten die beiden Laienbrüder unisono.
»Ich sagte, lasst uns allein!«, fauchte Nicolau Eimeric mit immer noch furchteinflößender Energie, obwohl ihm zum Schreien die Kraft fehlte. Gekränkt verließen die beiden Brüder wortlos den Raum. Eimeric, der halb aufgerichtet im Bett saß, sah den Ritter an: »Ihr habt die Möglichkeit, Eure Buße zu vollenden.«
»Gelobt sei der Herr!«
»Ihr sollt zum Schwertarm des heiligen Gerichts werden.«
»Ihr wisst, dass ich tun werde, was Ihr befehlt, wenn ich dadurch Vergebung erlangen kann.«
»Wenn Ihr die Buße tut, die ich Euch auferlege, wird Gott Euch verzeihen, Eure Seele wird wieder rein sein, und Eure inneren Qualen werden ein Ende haben.«
»Das ist alles, wonach es mich verlangt, Exzellenz.«
»Mein ehemaliger persönlicher Gerichtssekretär.«
»Wie heißt er, und wo lebt er?«
»Er heißt Fra Miquel de Susqueda und wurde wegen Hochverrats an der heiligen Inquisition in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Das ist viele Jahre her, doch keinem meiner Männer ist es bisher gelungen, ihn ausfindig zu machen. Nun habe ich mich für einen Kämpfer wie Euch entschieden.«
Er sprach so dringlich, dass er husten musste. Einer der Krankenpfleger öffnete die Tür, aber Ramon de Nolla schlug sie ihm einfach vor der Nase zu. Fra Nicolau berichtete weiter, dass sich der Flüchtige nicht in Susqueda verbarg, sondern in der Gegend von Cardona gesehen worden war und einer der Häscher des Gerichts ihm versichert hatte, er sei in den Benediktinerorden eingetreten, aber nicht wusste, inwelches Kloster. Dann erklärte er ihm weitere Einzelheiten seiner heiligen Mission. Ganz gleich, ob ich gestorben bin, ganz gleich, wie viele Jahre vergehen mögen: Wenn Ihr ihn seht, sagt ihm, dass ich es bin, der ihn bestraft, stoßt ihm einen Dolch ins Herz, schneidet ihm die Zunge heraus und bringt sie mir. Und wenn ich tot bin, legt sie vor meinem Grab nieder, und dort soll sie verrotten nach dem Willen Gottes.
»Und dann wird meine Seele frei von aller Schuld sein?«
»Amen.«
»Es ist eine persönliche Botschaft, Pater Prior«, beharrte der Besucher, als sie schweigend am Ende des eisigen Kreuzgangs von Santa Maria angekommen waren.
Aus benediktinischer Höflichkeit und weil er keine Gefahr darstellte, wurde der Ritter vom Abt empfangen, vor dem er wiederholte, ich suche einen Eurer Brüder, Hochwürdigster Vater.
»Wen?«
»Fra Miquel de Susqueda.«
»Wir haben keinen
Weitere Kostenlose Bücher