Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
einem versiegelten Umschlag, den der Notar mir in die Hand drückte und der mit den Worten begann, lieber Adrià, mein innig geliebter Sohn, Worte, wie ich sie in meinem ganzen bbeschissenen Leben nicht einmal von ihr gehört hatte.
    Lieber Adrià, mein innig geliebter Sohn.
    Und damit endeten die Gefühlsbekundungen meiner Mutter auch schon. Der Rest waren Anweisungen betreffs des Ladens. Dass ich moralisch verpflichtet sei, ihn zu übernehmen. Dann schilderte sie mir in allen Einzelheiten die außergewöhnliche Vereinbarung, die sie mit Senyor Berenguer getroffen hatte: dass er noch für ein weiteres Jahr dazu verdammt war, als Angestellter im Laden zu arbeiten, nämlich bis zur vollständigen Rückerstattung eines ehemals unterschlagenen Betrags. Der Laden war deines Vaters Lebensinhalt, und jetzt, da ich nicht mehr da bin, kannst du ihn nicht einfach abstoßen. Allerdings weiß ich, dass du immer nur getan hast, wonach dir der Sinn stand, und es auch in Zukunft so halten wirst, und darum bin ich mir keineswegs sicher, dass du auf mich hörst, die Ärmel hochkrempelst, in den Laden gehst und dort für Ordnung sorgst, wie ich es nach dem Tod deines Vaters getan habe. Ich will nichts Schlechtes über ihn sagen, aber er war ein Romantiker: Ich musste Ordnung in den Laden bringen, ich habe ihn umstrukturiert und dafür gesorgt, dass er genügend Gewinn abwarf, um uns beide zu ernähren. Und dazu habe ich, wie du weißt, nur zwei weitere Leute angestellt. Es täte mir sehr leid, wenn du ihn nicht behalten würdest, aber da ich es sowieso nicht mehr miterleben werde, tu, was du willst. Dann folgten genaue Anweisungen für den Umgang mit Senyor Berenguer, die ich bitte befolgen solle. Und zuletzt wurde sie dann doch noch einmal persönlich und sagte, aber ich schreibe dir heute, am zwanzigsten Januar neunzehnhundertfünfundsiebzig, vor allem deshalb, weil der Arzt mir bestätigt hat, dass ich wohl nicht mehr lange zu leben habe. Ich habe Anweisung erteilt, dich bei deinem Studium nicht zu stören, bis es so weit ist. Aber ich schreibe dir, weil duaußer dem, was ich dir bereits gesagt habe, noch zwei Dinge wissen solltest. Erstens: Ich bin in den Schoß der Kirche zurückgekehrt. Als ich deinen Vater heiratete, war ich noch ein halbes Kind und sehr leicht zu beeinflussen; ich wusste nicht genau, was ich vom Leben wollte, und als dein Vater mir sagte, wahrscheinlich gibt es gar keinen Gott, sagte ich, ach so, na gut. Später habe ich Gott sehr vermisst, vor allem, als erst mein Vater starb und dann Fèlix und ich in meiner Einsamkeit nicht wusste, was ich mit dir anfangen sollte.
    »Was du mit mir anfangen solltest? Du hättest mich lieben können.«
    »Aber das habe ich doch getan, mein Sohn.«
    »Aus der Ferne.«
    »Wir waren einfach von Haus aus wenig zärtlich, eher kühl; was nicht heißen soll, dass wir schlechte Menschen wären.«
    »Mutter, du hättest mich lieben sollen, mir in die Augen sehen, mich fragen, was ich einmal werden will.«
    »Mit dem Tod deines Vaters war für mich alles vorbei.«
    »Du hättest es wenigstens versuchen können.«
    »Ich habe dir nie verzeihen können, dass du das Geigespielen aufgegeben hast.«
    »Und ich habe dir nie verzeihen können, dass du mich gezwungen hast, der Beste zu sein.«
    »Aber du bist der Beste.«
    »Nein. Ich bin intelligent, meinetwegen auch hochbegabt. Aber ich kann nicht alles. Und ich bin nicht verpflichtet, der Beste zu sein. Ihr habt euch in mir getäuscht, Vater und du.«
    »Dein Vater nicht.«
    »Ich stehe kurz vor der Promotion und habe nicht die Absicht, hinterher noch Jura zu studieren. Und ich habe nicht Russisch gelernt.«
    »Noch nicht.«
    »Meinetwegen, noch nicht.«
    »Lass uns nicht weiter streiten, schließlich bin ich tot.«
    »In Ordnung. Was wolltest du mir noch sagen?«
    »Ich habe im Sterben vieles bedauert. Am meisten, dass ich nie erfahren habe, wer deinen Vater getötet hat und warum.«
    »Was hast du getan, um es herauszufinden?«
    »Jetzt weiß ich, dass du hinter dem Sofa gesessen und mich belauscht hast. Du weißt Dinge, von denen ich nicht wusste, dass du sie weißt.«
    »Glaub das nicht. Im Grunde habe ich nur herausgefunden, was ein Freudenhaus ist, nicht aber, wer Vater ermordet hat.«
    »He, die Schwarze Witwe ist im Anmarsch.« Beunruhigt streckte Inspektor Ocaña den Kopf ins Büro des Kommissars.
    »Sicher?«
    »Hattest du die nicht ein für alle Mal abgewimmelt?«
    »Dieses verdammte Weibsbild.«
    Kommissar Plasencia ließ die

Weitere Kostenlose Bücher