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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Reste seines belegten Brötchens in einer Schublade verschwinden, stand auf und sah durch das Fenster auf den Verkehr auf der Via Laietana hinaus. Als er spürte, dass die Frau auf der Türschwelle stand, drehte er sich um.
    »Welch eine Überraschung.«
    »Guten Abend.«
    »Ich habe seit Tagen …«
    »Ja. Es ist nur weil … Ich habe Nachforschungen anstellen lassen und …«
    Der Gestank eines halb gerauchten Zigarillo, der im Aschenbecher lag, hing in der Luft.
    »Und was?«
    »Aribert Voigt, Herr Kommissar. Rache aus geschäftlichen Gründen. Oder, wenn Sie wollen, persönliche Rache; aber es waren keinerlei Bordelle oder missbrauchte Mädchen im Spiel. Ich weiß nicht, warum Sie diese alberne Geschichte erfunden haben.«
    »Ich befolge nur meine Befehle.«
    »Ich nicht, Herr Kommissar. Und ich habe die Absicht, Sie wegen Behinderung der Ermittlungen vor Gericht …«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich!«, fiel ihr der Kommissar barsch ins Wort. »Zum Glück ist Spanien keine Demokratie. Hier haben die Guten das Sagen, und das sind wir.«
    »Sie werden demnächst eine Vorladung erhalten. Undwenn die Verantwortlichen weiter oben sitzen, komme ich denen auch noch auf die Spur.«
    »Welche Spur?«
    »Ich finde heraus, wer dafür gesorgt hat, dass der Mörder seine Tat ungestraft begehen konnte. Und wer ihn ungeschoren hat laufen lassen.«
    »Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind. Sie werden keine Spur finden, weil es keine gibt.«
    Der Kommissar nahm den Zigarillo aus dem Aschenbecher, riss ein Streichholz an und entzündete ihn. Einen Augenblick lang verdeckte eine dicke, bläuliche Wolke sein Gesicht.
    »Und warum bist du nicht vor Gericht gegangen, Mutter?«
    Kommissar Plasencia setzte sich, Rauch strömte ihm aus Mund und Nase. Mutter zog es vor, stehen zu bleiben.
    »Und es gibt sie doch, die Spur«, sagte sie.
    »Gute Frau, ich habe zu tun«, antwortete der Kommissar, dem plötzlich sein halb gegessenes Brötchen wieder einfiel.
    »Ein Nazi, der in aller Seelenruhe seinen Lebensabend genießt. Wenn er noch am Leben ist.«
    »Namen. Ohne Namen ist das alles nur heiße Luft.«
    »Ein Nazi. Aribert Voigt. Ich nenne Ihnen einen Namen!«
    »Auf Wiedersehen, Senyora.«
    »An dem Nachmittag, als mein Mann ermordet wurde, sagte er mir, er wolle ins Ateneu, um dort einen gewissen Pinheiro zu treffen …«
    »Mutter, warum bist du nicht vor Gericht gegangen?«
    »… aber in Wirklichkeit war er gar nicht mit Pinheiro verabredet. Er hatte einen Anruf von einem Kommissar erhalten.«
    »Namen, Senyora. In Barcelona gibt es viele Kommissare.«
    »Und das war eine Falle. Aribert Voigt wurde bei seiner Tat von der spanischen Polizei gedeckt.«
    »Was Sie da sagen, kann Sie ins Gefängnis bringen.«
    »Mutter, warum bist du nicht vor Gericht gegangen?«
    »Der Kerl ist zu weit gegangen. Er wollte meinem Mann wehtun. Und ich nehme an, er wollte ihm Angst einjagen. Aber dann hat er ihn getötet und verstümmelt.«
    »Reden Sie keinen Unsinn, Senyora.«
    »Anstatt ihn zu verhaften, hat man ihn ausgewiesen. So war es doch, Kommissar Plasencia, nicht wahr?«
    »Sie haben zu viele Romane gelesen.«
    »Ganz gewiss nicht.«
    »Wenn Sie nicht aufhören, mir auf die Nerven zu gehen und die Polizei zu behelligen, wird es Ihnen übel ergehen. Ihnen, Ihrer Geliebten und Ihrem Sohn. Selbst wenn Sie bis ans Ende der Welt fliehen würden.«
    »Mutter, habe ich da eben richtig gehört?«
    »Hast du was richtig gehört?«
    »Das mit deiner Geliebten.«
    Der Kommissar lehnte sich zurück, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen, dann legte er nach: »Es kostet mich nicht die geringste Mühe, Ihren Bekanntenkreis entsprechend zu informieren. Einen schönen Tag noch, Senyora Ardèvol. Und kommen Sie nie wieder.« Er zog die halbleere Schublade auf, in dem das angebissene Brötchens lag, und knallte sie vor den Augen der Schwarzen Witwe wütend wieder zu.
    »Schon gut, Mutter, ich habe verstanden. Aber woher wusstest du, dass das mit den Bordellen und den Vergewaltigungen gelogen war?«
    Meine tote Mutter schwieg. Ich wartete gespannt auf eine Antwort. Nach einer Ewigkeit sagte sie: »Ich weiß es eben.«
    »Das genügt mir nicht.«
    »Nun gut.« Sie legte eine dramatische Pause ein, wohl um sich Mut zu machen, dann sagte sie: »Schon sehr bald nach unserer Hochzeit, kurz nach deiner Zeugung, wurde dein Vater impotent. Von da an war er zu keiner Erektion mehr fähig. Das hat ihn für den Rest seines Lebens verbittert. Uns beide. Da halfen

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