Das Schweigen des Sammlers
und Punkt?«
»Früher habe ich das so gemacht. Aber offenbar mangelt es dir an historischem Gedächtnis. Ich könnte jetzt sagen, es hat mir nicht gefallen und Punkt. Aber dann würdest du sagen: Und Punkt? Das war’s? Und dann muss ich rechtfertigen, warum es mir nicht gefällt, und dabei versuche ich, dir gegenüber ehrlich zu sein, weil ich dich nicht verlieren will, und darum sage ich dir, dass du keine Begabung zur Figurenzeichnung hast: Es sind nur Namen. Alle sprechen gleich; sie bemühen sich gar nicht erst, mein Interesse zu wecken. Keine dieser Figuren ist notwendig.«
»Was zum Teufel meinst du mit ›notwendig‹? Wenn es Biel in ›Rates‹ nicht gäbe, gäbe es die Erzählung nicht.«
»Du willst mich nicht verstehen. Die Erzählung ist nicht notwendig. Sie hat mich nicht verwandelt, sie hat mich nicht bereichert, sie hat nichts mit mir gemacht!«
Und nun sagte diese dämliche Mireia, Plensa besitzt die Kraft eines Hemingway, und Adrià versteckte sich hinter einem Schaufenster, um nicht mit anhören zu müssen, wie sie ihn am Ende noch mit Borges und Calders verglich. Er wollte nicht, dass Bernat ihn in dieser ungeheizten Buchhandlung entdeckte, in der von zwanzig Klappstühlen siebzehn leer waren und von den drei Besuchern einer aussah, als habe er sich in der Veranstaltung geirrt.
Du bist ein Feigling, dachte er. Und er dachte auch, dass eine Betrachtung seiner Freundschaft mit Bernat unter den historischen Gesichtspunkten, unter denen er vorzugweise die Welt und die Ideengeschichte erforschte, unweigerlich an einen toten Punkt käme: Bernat wäre glücklich, wenn er seine Fähigkeit zum Glücklichsein auf die Geige konzentrierenkönnte. Er schlich sich davon, ging einmal um den Block und überlegte dabei, was er tun könne. Wieso war nicht einmal Tecla da gewesen? Und auch Bernats Sohn nicht?
»Was heißt das, du willst nicht hingehen, verdammt? Immerhin geht es um eines meiner Bücher!«
Tecla trank ihre Schale Milch leer und wartete, bis Llorenç auf der Suche nach seiner Schultasche in seinem Zimmer verschwunden war. Dann sagte sie leise: »Wenn ich zu allen deinen Konzerten und allen deinen Lesungen gehen müsste …«
»Das klingt ja, als hätte ich jede Woche eine. Ich habe seit sechs Jahren kein Buch mehr präsentiert.«
Stille.
»Du willst mich nicht unterstützen.«
»Ich will ein paar Dinge klarstellen.«
»Du willst nicht kommen.«
»Ich kann nicht.«
»Du liebst mich nicht.«
»Du bist nicht der Mittelpunkt der Welt.«
»Das weiß ich.«
»Eben nicht. Du merkst nicht einmal, wie fordernd du bist.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Du denkst immer, dass alle nur für dich da zu sein hätten. Dass du in diesem Hause die wichtigste Person bist.«
»Also, ehrlich gesagt …«
Sie musterte ihn provozierend. Er war drauf und dran zu sagen, klar bin ich die wichtigste Person in dieser Familie; aber ein sechster oder siebter Sinn hielt ihn gerade noch davon ab. Er hielt mit offenem Mund inne.
»Na los, sag schon«, ermunterte ihn Tecla.
Bernat schloss den Mund. Sie sah ihm in die Augen und sagte, wir haben auch ein Leben; du hältst es für selbstverständlich, dass wir jederzeit dort erscheinen, wo du uns hin zitierst, und wir müssen immer alles lesen, was du schreibst, und dann muss es uns auch noch gefallen; schlimmer noch, wir müssen begeistert sein.
»Jetzt übertreibst du aber.«
»Und warum hast du dann Llorenç gesagt, dass er dein Buch innerhalb der nächsten zehn Tage lesen soll?«
»Was ist denn so schlimm daran, wenn man seinen Sohn bittet, mal ein Buch zu lesen?«
»Er ist erst neun, um Gottes willen!«
»Na und?«
»Weißt du, was er gestern Abend zu mir gesagt hat?«
Der Junge lag im Bett. Als die Mutter sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schleichen wollte, schaltete er die Nachttischleuchte ein.
»Mama.«
»Hast du noch nicht geschlafen?«
»Nein.«
»Was ist?«
Tecla setzte sich auf den Bettrand. Llorenç zog die Nachttischschublade auf und nahm ein Buch heraus. Sie erkannte es.
»Ich habe es angefangen zu lesen, aber ich verstehe nichts.«
»Das ist nichts für Kinder. Warum liest du es?«
»Papa hat gesagt, ich muss es bis Sonntag gelesen haben, und es ist ein kurzes Buch.«
Sie nahm das Buch.
»Hör nicht auf ihn.«
Sie schlug das Buch auf und blätterte zerstreut darin.
»Und dass er mir Fragen dazu stellen wird.«
Sie gab ihm das Buch zurück: »Räum es wieder weg. Du musst es nicht lesen.«
»Bestimmt
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