Das Schweigen des Sammlers
und mir den Diebstahl vorhielt. Ich tat ganz ahnungslos, und da verfolgte er mich mit einem riesigen Messer quer durch die ganze Wohnung und …
»Was ist los?«, fragte Sara und schaltete das Licht ein.
Es war vier Uhr früh, und Adrià saß aufrecht im Bett seiner Eltern, das jetzt unser Bett war. Er keuchte, als wäre er gerannt.
»Nichts, nur ein Traum.«
»Erzähl ihn mir.«
»Ich erinnere mich nicht.«
Ich legte mich wieder hin, wartete, bis sie das Licht ausgeschaltet hatte, und sagte dann, García Márquez hat mich mit einem Riesenmesser quer durch die ganze Wohnung verfolgt und wollte mich umbringen.
Stille. Nein: ein leichtes Zittern des Bettes. Dann hörte ich, wie Sara herausplatzte und lachte, lachte, lachte. Ich spürte ihre Hand, die liebevoll über meine Glatze strich, wie meine Mutter mich nie liebkost hatte. Und ich fühlte mich schmutzig und sündig, weil ich sie belog.
Am nächsten Morgen saßen wir, noch ganz schläfrig, stumm am Frühstückstisch, als Sara plötzlich wieder losprustete.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Sogar deine Monster müssen Intellektuelle sein.«
»Ich hatte aber wirklich Angst. Ach, übrigens: Ich muss heute an die Uni.«
»Aber heute ist doch Dienstag?«
»Ich weiß, aber die Parera will irgendwas von mir, ich weiß nicht, was, und hat mich gebeten … pfff …«
»Wird schon nicht so schlimm werden.«
Lügen auf Lügen häufend, ging ich zur Sparkasse, hob so und so viel ab und ging damit zu Morral, voller Furcht, seine Wohnung könne abgebrannt sein oder er habe seine Meinung geändert oder sei gar verhaftet worden.
Nein. Der Oberst wartete noch geduldig auf mich. Zärtlich nahm ich ihn in die Hand. Jetzt gehörte er mir, und die Sorgen hatten ein Ende. Er gehörte mir.
»Senyor Morral?«
»Ja?«
»Und das komplette Nietzsche-Manuskript?«
»Aha.«
»Sagen Sie mir, wie viel es kostet?«
»Wenn Sie nur aus Neugier fragen, sage ich nichts, tut mir leid.«
»Ich würde es gerne kaufen, wenn ich kann.«
»Rufen Sie mich in zehn Tagen an, und ich nenne Ihnen den Preis, wenn es bis dahin nicht verkauft ist.«
»Was??«
»Na, was denken Sie denn? Dass Sie der Einzige auf der Welt sind?«
»Ich will es haben.«
»In zehn Tagen.«
Zu Hause konnte ich dir den Schatz nicht zeigen. Es war meine verborgene Facette, das Gegenstück zu deinen Geheimnissen. Den Papierstapel versteckte ich weit hinten in einer Schublade. Ich wollte eine Mappe kaufen, in der man das ganze Werk, Blatt für Blatt, von beiden Seiten bestaunen konnte. Aber das musste ich heimlich tun. Und zu allem Überfluss war da noch Schwarzer Adler.
»Na los, sag schon.«
»Jetzt hast du den verbotenen Fluss überquert.«
»Wie bitte?«
»Du vergeudest dein Geld für Tand und wirst das auch weiterhin tun, ohne dass deine Squaw davon weiß.«
»Das ist, als würdest du sie betrügen«, mischte sich Carson ein. »Das ist oberfaul.«
»Es geht nicht anders.«
»Wir sind dabei, die Freundschaft zu unserem weißen Freund, der uns ein Leben lang beherbergt hat, zu begraben.«
»Oder wir verraten es Sara.«
»Untersteht euch! Ich werfe euch vom Balkon.«
»Der tapfere Krieger fürchtet die Drohungen des feigen, lügnerischen Bleichgesichts nicht. Außerdem hättest du gar nicht den Mut dazu.«
»Eben«, mischte sich Carson ein. »Wer süchtig ist, handelt nicht planmäßig. Er ist Opfer seiner Sucht.«
»Das vollständige Manuskript von Nietzsche wird das letzte sein, das ich kaufe, ich schwöre es.«
»Und das soll ich dir glauben?«, fragte Carson.
»Ich frage mich, wieso du es vor deiner Squaw versteckst.« Das war Schwarzer Adler. »Du kaufst es von deinem Gold. Es stammt von keinem der Juden, die von den grausamen Männern mit den Donnerbüchsen beraubt wurden, und es ist nicht gestohlen.«
»Das eine oder andere schon, mein Freund«, berichtigte ihn Carson.
»Aber das muss die Squaw des Bleichgesichts ja nicht erfahren.«
Ich ließ sie über die beste Strategie diskutieren und konnte ihnen nicht sagen, dass ich nicht den Mut aufbrachte, zu Sara zu gehen und ihr zu sagen, das ist stärker als ich. Ich will die Dinge besitzen, die mir ins Auge fallen. Ich will sie, und ich würde töten, um sie zu bekommen.
»Tatsächlich?«, fragte Carson.
»Nein. Aber fast.« Zu Sara sagte ich: »Ich glaube, mir geht’s nicht gut.«
»Armer Adrià, leg dich ins Bett, ich komme gleich zum Fiebermessen.«
Zwei Tage lag ich mit Fieber im Bett, dann schloss ich eine Art Pakt mit mir
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