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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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sehen, das vor seiner Nase liegt, weil er sich von dem blenden lässt, was er nicht haben kann. Er ist zu menschlich, mein Freund Bernat. Und heute konnte ich nicht mit ihm zum Abendessen gehen, weil Sara traurig war.
    Bernat Plensa i Punsoda, ein ausgezeichneter Musiker, der sich darauf versteift, in der Literatur sein Unglück zu suchen. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Und Ali Bahr betrachtete die Kinderschar, die im Schatten der Mauer zwischen dem Garten des Weißen Esels und dem Weg spielte, der von al-Hisw ins ferne Bi’r Durb führte. Ali Bahr, der vor kurzem zwanzig geworden war, wusste nicht, dass eines der Mädchen, das gerade schreiend davonlief, verfolgt von einem Jungen mit aufgeschürften Knien, Amani war, die in wenigen Jahren hier und in der ganzen Umgebung die schöne Amani heißen würde. Er trieb seinen Esel an, denn in zwei Stunden musste er zu Hause sein. Um seine angestaute Energie loszuwerden, las er einen Stein auf, nicht zu groß und nicht zu klein, und schleuderte ihn kraftvoll, wütend, auf den Pfad vor sich, wie um dem Esel den richtigen Weg zu zeigen.
    Das Leben des Erzählbands Plasma von Bernat Plensa lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: null Echo, keine Rezension, keine Kritik, keine Verkäufe. Zum Glück sagten ihm weder Bauçà noch Adrià, noch Tecla, siehst du, ich hab’s dir doch gesagt. Als ich es Sara erzählte, sagte sie, du bist ein Feigling: Du hättest dort im Publikum sitzen müssen. Ich sagte: Aber es war entwürdigend. Und sie: Nein, durch die Anwesenheit eines Freundes hätte er sich gestärkt gefühlt. Und das Leben ging weiter.
    »Das ist eine gezielte Kampagne gegen mich; die wollen mich unsichtbar machen, auslöschen.«
    »Wer?«
    »Die.«
    »Die würde ich gern mal kennenlernen.«
    »Ich meine es ernst.«
    »Bernat, niemand hat was gegen dich.«
    »Nein, wahrscheinlich weiß sowieso niemand, dass es mich gibt.«
    »Sag das mal denen, die dir nach einem Konzert applaudieren.«
    »Das ist nicht das Gleiche, das haben wir schon hundert Mal besprochen.«
    Sara hörte ihnen schweigend zu. Plötzlich sah Bernat sie an und fragte in leicht anklagendem Tonfall, und wie fandest du das Buch? – die Frage, die wirklich einzige Frage, die meiner Meinung nach kein Autor ungestraft stellen darf, weil er Gefahr läuft, dass jemand sie beantwortet.
    Sara lächelte höflich, und Bernat hob die Augenbrauen, um deutlich zu machen, dass sie die Antwort unangemssen hinauszögerte.
    »Ich habe es nicht gelesen«, sagte Sara und hielt seinem Blick stand. Dann fügte sie hinzu: »Noch nicht« – ein Zugeständnis, das mich erstaunte.
    Bernat blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Du wirst es nie lernen, Bernat, dachte Adrià. An diesem Tag verstand er, dass sein Freund ein hoffnungsloser Fall war. Ohne darauf zu achten, was er tat, stürzte Bernat ein halbes Glas eines vorzüglichen Ribera del Duero hinunter. Er stellte das Glas ab und verkündete: »Ich schwör euch, ich hör auf mit dem Schreiben«, und ich bin sicher, er hoffte, Sara mit diesem Entschluss ein schlechtes Gewissen zu machen.
    »Konzentrier dich auf die Musik«, sagtest du mit diesem Lächeln, das ich immer noch an dir liebe, »du wirst sehen, das wird dir guttun.«
    Und du nahmst einen Schluck aus dem Porró. Ein Ribera del Duero aus dem Schnabelkrug! Bernat starrte dich mit offenem Mund an, sagte aber nichts. Er war zu niedergeschlagen. Sicher brach er nur deshalb nicht in Tränen aus, weil Adrià dabei war. Vor einer Frau, selbst vor einer, die guten Wein aus der Flasche trinkt, weint es sich leichter. Vor einem Mann lässt man das tunlichst bleiben. Aber am Abend hatte er seinen ersten großen Streit mit Tecla. Und Llorenç lag mit weit aufgerissenen Augen im Bett, hörte seinen Vater toben und fühlte sich wie das unglücklichste Kind der Welt.
    »Ich verlange doch wirklich nicht zu viel, verdammt noch mal!«, sinnierte Bernat. »Nur dass du dich gnädigerweise dazu herablässt, mich zu lesen. Das würde mir schon genügen.« Er wurde lauter, zu laut. »Ist das denn zu viel verlangt?«
    Da kam Llorenç barfuß und im Schlafanzug ins Wohnzimmer gerannt und stürzte sich auf seinen Vater, als der gerade sagte, ich fühle mich von euch bei meinem künstlerischen Abenteuer völlig im Stich gelassen. Tecla sah die Wand an, als betrachte sie ihre eigene, durch die Schwangerschaft unterbrochene Karriere als Pianistin, und war gekränkt. Tief gekränkt, kapierst du?, weil wir nichts anderes tun dürfen,

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