Das Schweigen des Sammlers
nicht?«
»Bestimmt nicht.«
»Und wenn er mir Fragen stellt?«
»Ich sage ihm, er soll’s nicht tun.«
»Ach so, jetzt darf ich meinem Sohn also nicht mal mehr Fragen stellen?«, rief Bernat empört und knallte die Tasse auf die Untertasse. »Bin ich vielleicht nicht sein Vater?«
»Dein Ego ist so groß, dass du drüber stolperst.«
Llorenç steckte den Kopf in die Küche. Er hatte seinen Anorak an und den Ranzen auf dem Rücken.
»Papa kommt gleich. Geh schon mal vor.«
Bernat stand auf, warf die Serviette auf den Tisch und ging hinaus.
Adrià war einmal um den Häuserblock gegangen und stand nun wieder vor der Buchhandlung. Er wusste immer noch nicht, was er tun sollte. In diesem Augenblick wurde eines der Lichter im Schaufenster gelöscht. Rasch zog sich Adrià ein paar Meter zurück. Gerade noch rechtzeitig: Mireia Gràcia kam heraus und ging eilig davon; sie bemerkte ihn nicht, obwohl sie direkt an ihm vorbeiging, weil sie auf die Uhr sah. Als Bauçà, Bernat und noch zwei, drei andere Leute herauskamen, stürzte Adrià auf sie zu wie jemand, der viel zu spät kommt.
»He … Jetzt sagt bloß, ihr seid schon fertig!« Man sah und hörte Adrià seine Enttäuschung an.
»Hallo, Ardèvol«, sagte Bauçà.
Adrià hob grüßend die Hand. Die anderen Leute zerstreuten sich, und Bauçà sagte, ich muss los.
»Wollen wir nicht zusammen was essen gehen?«, fragte Bernat.
Bauçà sagte, tut mir leid, ich bin schon zum Abendessen verabredet und komme zu spät, und ließ die beiden Freunde allein.
»Und? Wie ist’s gelaufen?«
»Gut. Ziemlich gut. Mireia Gràcia hat die Sache auf den Punkt gebracht. Es war sehr … einfach gut. Und es waren eine Menge Leute da. Gut, was?«
»Das freut mich. Ich wäre gern dabei gewesen, aber …«
»Ist schon o.k. Das Publikum hat sogar Fragen gestellt.«
»Und Tecla?«
Sie setzten sich in Bewegung, und ihr Schweigen sagte alles. An der Ecke angekommen, blieb Bernat stehen und sah Adrià an: »Ich habe das Gefühl, als ob ich gegen die ganze Welt anschreibe: gegen dich, gegen Tecla, gegen meinen Sohn, gegen meinen Verleger.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Es interessiert niemanden einen Scheiß, was ich schreibe.«
»Na hör mal, gerade eben hast du mir doch noch erzählt, dass …«
»Und jetzt sage ich dir, dass es niemanden einen Scheiß interessiert, was ich schreibe.«
»Interessiert es denn dich?«
Bernat sah ihn misstrauisch an. Wollte Adrià sich über ihn lustig machen?
»Es geht um mein Leben.«
»Das glaube ich nicht. Dafür hältst du dich zu sehr bedeckt.«
»Eines Tages würde ich dich gerne verstehen.«
»Wenn du so schreiben würdest, wie du Geige spielst, wärst du groß.«
»Was für ein Schwachsinn. Das Geigespielen langweilt mich.«
»Du willst einfach nicht glücklich sein.«
»Das ist kein Pflichtfach, hast du selbst mal gesagt.«
»Zugegeben. Aber du weißt ja: Wenn ich spielen könnte wie du, würde ich …«
»Einen Scheiß würdest du.«
»Was ist los? Hast du dich wieder mit Tecla gestritten?«
»Sie wollte nicht kommen.«
Das war schon heikler. Was sag ich jetzt bloß?
»Willst du mit zu mir?«
»Warum gehen wir nicht irgendwo was essen?«
»Na ja, also …«
»Sara erwartet dich.«
»Na ja, ich hatte ihr gesagt … Ja, sie erwartet mich.«
Dies ist die Geschichte von Bernat Plensa: Wir sind seit Jahren befreundet. Er beneidet mich seit Jahren, weil er mich immer noch nicht richtig kennt; ich bewundere seit Jahren sein Geigenspiel. Und von Zeit zu Zeit kriegen wir uns so heftig in die Haare wie ein unglückliches Liebespaar. Ich liebe ihn und muss ihm doch immer wieder sagen, dass er schlecht schreibt, dass seine Texte reizlos sind. Seit er mir seinen ersten Text zu lesen gegeben hat, hat er mehrere hundsmiserable Erzählbände veröffentlicht. Und trotz seiner intellektuellenFähigkeiten sieht er einfach nicht ein, dass das, was er schreibt, nicht deshalb keinen Anklang findet, weil die ganze Welt im Irrtum ist, sondern weil es völlig uninteressant ist. Vollkommen. Unsere Diskussionen laufen immer auf das Gleiche hinaus. Und seine Frau … Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich denke, dass das Zusammenleben mit Bernat schwierig ist. Er ist zweiter Geiger im Orchester Ciutat de Barcelona und macht mit ein paar Arbeitskollegen zusammen Kammermusik. Was will er mehr?, würden sich die meisten Sterblichen fragen, und ich frage mich das auch. Er nicht. Wahrscheinlich kann er, wie alle Sterblichen, das Glück nicht
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