Das Schweigen des Sammlers
und dann sah sie sie niemals wieder, nicht einmal Pepita Masriera. Sie fand eine Anstellung in der Universitätsbibliothek, schob die Bücherwagen durch die Gänge und versuchte ohne großen Erfolg, so streng dreinzublicken wie Senyora Canyameres, begegnete zwei- oder dreimal Senyor Ardèvol, der zufällig immer häufiger in der Bibliothek aufkreuzte und sagte, wie geht es dir, meine Schöne?, und vermisste einige ihrer Schulkameradinnen, besonders Pepita Masriera.
»Leuchtendbraun ist keine Farbe.«
Lola Xica schaute Carme spöttisch an und wartete auf eine Antwort.
»Na, gut. Ein schönes Braun. Wie dunkler Honig, wie Eukalyptushonig.«
»Er ist so alt wie dein Vater.«
»Jetzt übertreib mal nicht, er ist siebeneinhalb Jahre jünger!«
»Ach so, na dann …«
Trotz der Säuberungsmaßnahmen der neuen Machthaber beäugte Fèlix Ardèvol die Professoren, neue und alte, mitArgwohn. Zwar würde sich keiner mehr in sein Liebesleben einmischen, wovon ihnen wohl auch nichts bekannt war, aber gewiss hätte ihm mancher gesagt, du tanzt auf dünnem Eis, mein Freund. Jedenfalls wollte Fèlix Ardèvol vermeiden, sich von irgendjemandem große Erklärungen abnötigen zu lassen, der ihn doch nur mit verhaltenem Spott ansehen und ihm durch sein Schweigen zu verstehen geben würde, dass er gar keine Erklärung hören wollte. Bis er sich eines Tages sagte, jetzt reicht’s, ich bin nicht dafür geschaffen, ständig in Angst und Schrecken zu leben, zum Polizeirevier in der Via Laietana ging und sagte: Professor Montells, Paläograph.
»Wie bitte?«
»Professor Montells, Paläograph.«
Montells Paläograph, notierte langsam der Kommissar.
»Und mit Vornamen?«
»Eloi. Der zweite Familienname ist …«
»Eloi Montells Paläograph, ich habe den vollständigen Namen schon.«
Das Büro von Kommissar Plasencia war von schlammigem Olivbraun, hatte einem rostigen Aktenschrank und Porträts von Franco und José Antonio Primo de Rivera an der abgeblätterten Wand. Durch das schmutzige Fenster konnte man den Verkehr auf der Via Laietana sehen. Fèlix Ardèvol jedoch war nicht zum Scherzen zumute. Er schrieb Dr. Eloi Montells’ kompletten Namen auf, denn der hieß mit zweitem Familiennamen Ciurana und war Professor für Paläographie, hatte früher ebenfalls an der Gregoriana studiert und sah Fèlix Ardèvol jedes Mal sehr unwirsch an, wenn dieser Dr. Bosch wegen Angelegenheiten besuchte, in die Montells auf keinen Fall seine Nase stecken durfte.
»Als was würden Sie ihn bezeichnen?«
»Katalanist. Kommunist.«
Der Kommissar pfiff durch die Zähne und sagte, eieiei … Wie konnte der uns durch die Lappen gehen?
Ardèvol erwiderte nichts, weil die Frage ohnehin rhetorisch gemeint war und er ja schlecht sagen konnte, Montells sei dank der Unfähigkeit der Polizei entwischt.
»Das ist schon der zweite Professor, den Sie zur Anzeige bringen. Seltsam.« Der Kommissar pochte mit dem Stift auf die Tischplatte, als wollte er Morsezeichen senden. »Sie sind doch kein Professor, oder? Warum tun Sie das?«
Zur Reinigung der Landschaft. Um mich frei bewegen zu können, ohne indiskreten Blicken ausgesetzt zu sein.
»Aus Patriotismus. Viva Franco!«
Es wurden noch mehr. Es wurden drei oder vier. Und sie alle waren Katalanisten und Kommunisten. Sie alle schworen vergeblich ihre bedingungslose Treue zum Regime und riefen, Kommunist, ich? Auch das Viva Franco!, das sie dem Kommissar entgegenschmetterten, nützte ihnen nichts, denn La Model – das Gefängnis, in das die Unbelehrbaren gesperrt wurden, die den großzügigen Offerten des Generalissimo zum Trotz widerspenstig an ihren Irrtümern festhielten – brauchte ununterbrochen Nachschub. Diese willkommenen Denunziationen reinigten das Umfeld von Dr. Bosch, der von alledem nichts mitbekam und den rührigen Fèlix Ardèvol, der ihn augenscheinlich so sehr bewunderte, weiterhin bereitwillig mit Informationen versorgte.
Nachdem die Professoren verhaftet worden waren, erschien Fèlix Ardèvol sicherheitshalber nicht mehr im Büro der Universität, sondern wieder bei Dr. Bosch zu Hause, worüber Carme Bosch hocherfreut war.
»Wie geht es dir, meine Schöne?«
Das Mädchen, das mit jedem Tag hübscher wurde, lächelte und senkte dann immer sofort den Blick, sodass ihre Augen zum aufregendsten Geheimnis geworden waren, das Fèlix Ardèvol dringend entschlüsseln musste. Beinahe so aufregend wie eine herrenlose Handschrift von Goethe.
»Heute bringe ich dir noch mehr, noch besser
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