Das Schweigen des Sammlers
bezahlte Arbeit«, sagte er, als er in Professor Boschs Arbeitszimmer trat. Der fertigte Gutachten und Echtheitszertifikate aus und kassierte, ohne jemals zu fragen, hör mal, Fèlix, wo holst du das eigentlich alles her? Und wie machst du das?
Während er zusah, wie der andere Papiere auspackte,putzte Dr. Bosch seinen Zwicker. Erst wenn das Manuskript auf dem Tisch lag, konnte die Vorstellung beginnen.
»Gotische Kursive, Kanzleikurrent«, sagte Dr. Bosch, setzte den Kneifer auf und blickte gierig auf das Manuskript. Er nahm es in die Hand und betrachtete es eine gute Weile von allen Seiten.
»Es ist unvollständig«, brach er dann sein langes Schweigen.
»Ist es aus dem vierzehnten Jahrhundert?«
»Ja. Du lernst, wie ich sehe.«
Fèlix Ardèvol verfügte damals bereits über ein ganzes Netz für seine Suche nach Papieren, Papyrusrollen, Pergamenten, wie sie, einzeln oder gebündelt, in zumeist ungeordneten und verstaubten Archiven, Bibliotheken, Kultureinrichtungen, Rathäusern und Kirchengemeinden überall in Europa lagerten. Der junge Senyor Berenguer, der einen einzigartigen Riecher besaß, reiste umher und gab durch die heiseren Telefonapparate jener Zeit eine erste Bewertung ab. Wenn diese gut ausfiel, kaufte er den Schatz seinen Eigentümern für einen Spottpreis ab, sofern er ihn nicht einfach mitgehen lassen konnte, und übergab ihn Ardèvol, der zusammen mit Dr. Bosch ein Gutachten erstellte. Jeder machte seinen Schnitt, und die Dokumente selbst hatten auch etwas davon. Aber es war besser, wenn niemand davon etwas mitbekam. Wirklich niemand. In den vergangenen zehn Jahren hatte er viel Plunder gefunden, massenhaft Plunder. Doch ab und zu fiel ihm ein Juwel in die Hände, wie zum Beispiel ein Exemplar von L’après-midi d’un faune mit den Illustrationen von Manet aus dem Jahr 1876, in dem einige Handschriften von Mallarmé höchstpersönlich lagen, vermutlich seine allerletzten Aufzeichnungen, die auf dem Dachboden der armseligen Bibliothek von Valvins vor sich hin gedämmert hatten. Oder drei vollständige, gut erhaltene Pergamente aus dem Korpus der Päpstlichen Kanzlei von Johannes II., auf wundersame Weise aus einer Versteigerung von Nachlässen in Göteborg gerettet. Jedes Jahr fanden sich drei oder vier solcher Perlen. Und für diese Perlen arbeitete Ardèvol Tag und Nacht. In der Einsamkeit der riesigen Wohnung, die er im Stadtteil Eixamplegemietet hatte, nahm der Gedanke, einen Antiquitätenladen zu eröffnen und darin alles außer den wahren Perlen unterzubringen, allmählich Gestalt an. Dieser Entschluss führte zu einem weiteren, nämlich ganze Nachlässe zu übernehmen, die neben Manuskripten auch andere Dinge umfassten, Vasen, Bongos, Chippendale-Möbel, Schirmständer, Waffen …, alles, was vor vielen Jahren hergestellt und zu nichts mehr nütze war. So kam das erste Musikinstrument ins Haus.
Die Jahre vergingen; Fèlix Ardèvol, mein Vater, besuchte weiter Professor Bosch, meinen Großvater, den ich als ganz kleiner Junge noch kennengelernt habe. Carme, meine Mutter, feierte ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag, und eines Tages sagte Fèlix Ardèvol zu seinem Kollegen, ich will mit dir über deine Tochter reden.
»Was ist mit ihr?« Leicht beunruhigt nahm Dr. Bosch den Zwicker ab und sah seinen Freund an.
»Ich möchte sie heiraten. Wenn du nichts dagegen hast.«
Dr. Bosch stand auf und ging, den Zwicker in der Hand, nachdenklich hinaus in die dunkle Diele. Ardèvol beobachtete ihn gespannt von hinten. Nachdem Dr. Bosch ein paar Minuten nervös auf und ab gegangen war, wandte er sich Ardèvol zu und sah ihn an, ohne zu bemerken, dass dieser leuchtendbraune Augen hatte.
»Wie alt bist du?«
»Vierundvierzig.«
»Und Carme dürfte höchstens achtzehn oder neunzehn sein.«
»Fünfundzwanzigeinhalb. Deine Tochter ist über fünfundzwanzig.«
»Bist du sicher?«
Schweigen. Dr. Bosch setzte die Brille auf, als brauchte er sie, um das Alter seiner Tochter zu überprüfen. Er schaute Ardèvol an, öffnete den Mund, nahm die Brille wieder ab und sagte mit geistesabwesendem Blick und völlig perplex, Carme ist fünfundzwanzig geworden …
»Vor Monaten schon.«
In diesem Moment öffnete sich die Wohnungstür, undCarme kam herein, gefolgt von Lola Xica. Stumm sah sie die beiden Männer an, die wie angewurzelt mitten in der Diele standen. Lola Xica verschwand mit dem Einkaufskorb, und während sie aus dem Mantel schlüpfte, sah Carme ihren Vater und Senyor Ardèvol wieder an.
»Ist
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