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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Fèlix Ardèvol scherte sich nicht um sepia oder grau, sondern war mit seiner kostbaren Ware ständig auf Reisen und verfolgte ein einziges Ziel: seinen Schatz an Dingen zu vergrößern; allein danach dürstete ihn, denn er sammelte nicht nur, er sammelte ein. Er hatte nur Augen für das, was ihm half, seinen Besitz zu mehren. Darum wurde er auch auf Dr. Adrià Bosch aufmerksam, den herausragenden Paläographen der Universität von Barcelona, der den Ruf hatte, ein Weiser zu sein und das exakte Alter eines Gegenstands auf Anhieb zu erkennen. Es entstand eine für beide fruchtbare Zusammenarbeit, und Fèlix Ardèvol wurde zu einem so regelmäßigen Gast in Dr. Boschs Büro, dass einige der Assistenten an der Universität begannen, ihn schief anzusehen. Fèlix Ardèvol traf sich sowieso lieber zu Hause mit Dr. Bosch als in der Universität, wo er sich einfach unbehaglich fühlte. Schließlich konnte er dort jederzeit einem ehemaligen Kommilitonen von der Gregoriana begegnen; außerdem gab es zwei Philosophieprofessoren, zwei Geistliche, mit denen zusammen er in Vic studiert hatte und die sich womöglich wunderten, warum er den angesehenen Paläographen so oft besuchte, und ihn leutselig fragen könnten, was treibst du denn so, Ardèvol? Stimmt es, dass dualles für eine Frau aufgegeben hast? Du hast doch wegen eines Weiberrocks auf eine brillante Karriere in Sanskrit und Theologie verzichtet. Stimmt’s? Und wie man sich das Maul darüber zerrissen hat! Wenn du wüsstest, was man alles über dich gesagt hat, Ardèvol! Was ist denn aus der flotten kleinen Italienerin geworden?
    Als Fèlix Ardèvol zu Dr. Bosch sagte, ich will mit dir über deine Tochter reden, hatte diese bereits seit sechs Jahren ein Auge auf Senyor Fèlix Ardèvol geworfen, sooft ihr Vater ihn zu Hause empfing. Für gewöhnlich war sie es, die Besuchern die Tür öffnete. Zu der Zeit, als die Republik unmittelbar bevorstand – da war sie siebzehn –, wurde ihr allmählich bewusst, dass es ihr gefiel, wie Senyor Ardèvol den Hut zog, um sie zu grüßen. Und immer sagte er, wie geht es dir, meine Schöne? Das gefiel ihr sehr. Wie geht es dir, meine Schöne? So sehr gefiel ihr das, dass sie sogar auf die Farbe von Senyor Ardèvols Augen achtete. Leuchtendbraun. Und auf sein englisches Lavendelwasser, einen Duft, der ihr den Kopf verdrehte.
    Aber dann kamen stürmische Zeiten, drei Jahre Krieg; Barcelona hatte die Farbe von Feuer, Angst und Hunger, von Bomben und Tod. Fèlix Ardèvol war wochenlang unterwegs auf verschwiegenen Reisen, und die Universität blieb offen trotz der Bedrohung, die über den Dächern der Hörsäle schwebte. Und als die Ruhe wiederhergestellt war, eine bleierne Ruhe, wurden die meisten der Professoren, die nicht ins Exil geflüchtet waren, von Franco aus dem Verkehr gezogen, an der Universität sprach man fortan kastilisch und trug seine Engstirnigkeit hemmungslos zur Schau. Dennoch hielten sich Inseln, wie der Fachbereich Paläographie, den die Sieger für belanglos erachteten. Und Fèlix Ardèvol nahm seine Besuche bei Dr. Bosch wieder auf und brachte jetzt noch mehr Wertobjekte mit, die sie gemeinsam klassifizierten, datierten und mit Echtheitszertifikaten versahen. Fèlix vertrieb die Ware in der ganzen Welt, und die Erträge teilten sie sich, gesegnet sei der Profit in Zeiten der Not. Und die Professoren, die die franquistische Säuberung überlebt hatten, sahen den Händlerweiter schief an, weil er im Fachbereich auftrat, als wäre er selbst der Professor. Im Fachbereich und im Haus von Dr. Bosch.
    Während des Krieges hatte Carme Bosch ihn nur selten gesehen. Aber kaum war der Krieg vorbei, kam Senyor Ardèvol wieder zu ihrem Vater, die beiden schlossen sich im Arbeitszimmer ein, und sie tat irgendetwas und sagte, Lola Xica, ich habe jetzt keine Lust, Sandalen kaufen zu gehen, und Lola Xica wusste, dass sie nicht ausgehen wollte, weil Senyor Ardèvol da war und mit ihrem Vater über alte Pergamente sprach, und so schmunzelte sie verstohlen und sagte, wie du willst, Carme. In dieser Zeit meldete ihr Vater sie ungefragt an der kürzlich wiedereröffneten Bibliothekarschule an, und die drei Jahre, die sie dort verbrachte – praktisch direkt nebenan, weil sie im Carrer dels Àngels wohnten –, waren die glücklichsten ihres Lebens. Unter ihren Mitschülerinnen fand sie Freundinnen, und sie schworen einander, immer in Kontakt zu bleiben, auch wenn das Leben sie noch so sehr verändern mochte, sie heiraten würden etcetera,

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