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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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schrieb, und du warst bei mir. Sara illustrierte Märchen und machte Kohlezeichnungen, und Adrià war bei ihr und bewunderte ihre sichere Hand. Sara kochte koscher und klärte ihn über die vielseitige jüdische Küche auf, und Adrià revanchierte sich mit seinem ewigen Kartoffelomelett, gekochtem Reis oder gegrilltemHähnchen. Gelegentlich kam ein Paket von Max mit einigen Flaschen erlesener Jahrgänge. Und manchmal lachten wir ohne Grund, einfach so. Und er konnte ihr Atelier betreten, während sie geistesabwesend zehn Minuten lang auf die Staffelei mit dem weißen Bogen starrte, versunken in ihre Gedanken, ihre Mysterien, ihre Geheimnisse, ihre Tränen, die sie mir nicht zu trocknen erlaubte.
    »Ich liebe dich auch, Sara.«
    Und sie drehte sich um, ihr Blick schwenkte von dem leeren Papier auf mein blasses Gesicht (denn ich bin ein extrem blasses Bleichgesicht, wie Schwarzer Adler findet), und sie brauchte ein paar Sekunden, weil es ihr schwerfiel, sich aus ihren Gedanken, ihren Mysterien, ihren Geheimnissen, ihren Tränen zu lösen. Aber wir waren glücklich. Und als wir jetzt aus dem Tübinger Friedhof schritten, sagte sie, schreib du nur, ich bin ja bei dir.
    Bei kaltem Wetter, auch im Frühling, klingen nächtliche Schritte anders, als hätte die Kälte eigene Geräusche. Das dachte Adrià, als sie stumm zum Hotel zurückgingen. Nächtliche Schritte zweier glücklicher Menschen.
    »Hallo?«
    »Adrià Ardèvol? Adrià? Bist du es?«
    »Ja. Bernat?«
    »Hallo. Kannst du reden?«
    Adrià schaute zu Sara, die aus dem Anorak schlüpfte und die Vorhänge ihres Zimmers in dem kleinen Hotel Am Schloss zuzog.
    »Was gibt’s?«
    Sara hatte Zeit, sich die Zähne zu putzen, den Pyjama anzuziehen und sich ins Bett zu legen. Adrià sagte immerzu, aha, natürlich, ja, klar. Bis er beschloss, gar nichts mehr zu sagen, und nur noch zuhörte. Als er fünf Minuten geschwiegen hatte, spähte er zu Sara hinüber, die zur Decke sah und sich von der Stille einlullen ließ.
    »Hör zu, ich … Ja. Ja. Natürlich.«
    Weitere drei Minuten. Ich glaube, du, Liebste, dachtest anuns beide. Ab und zu schaute ich aus den Augenwinkeln zu dir hinüber und sah dein verstohlenes zufriedenes Lächeln. Ich glaube, Liebste, du warst stolz auf mich, und ich fühlte mich wie der glücklichste Mensch auf Erden.
    »Wie? Was?«
    »Mann, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Klar doch.«
    »Also, es ist nämlich so: Ich bin …«
    »Bernat, vielleicht solltest du über eine Trennung nachdenken. Wenn es nicht funktioniert, funkioniert es eben nicht.« Pause. Adrià konnte seinen Freund am anderen Ende schnaufen hören. »Meinst du nicht?«
    »Na ja, nur …«
    »Wie kommst du mit dem Roman voran?«
    »Gar nicht. Wie sollte ich bei dem ganzen Chaos?« Fernes Schweigen. »Außerdem kann ich nicht schreiben, und zu allem Überfluss willst du, dass ich mich von meiner Frau trenne.«
    »Ich will nicht, dass du dich von ihr trennst. Gar nichts will ich. Nur, dass du glücklich bist.«
    Es vergingen noch dreieinhalb Minuten, bis Bernat sagte, danke, dass du mich angehört hast, und auflegte. Adrià saß noch eine Weile neben dem Telefon. Dann stand er auf und zog die Gardine ein Stück zurück. Draußen schneite es still. Er fühlte sich geborgen an Saras Seite. Ich fühlte mich geborgen an deiner Seite, Sara. Damals war es unvorstellbar, dass ich mich heute, während ich dir schreibe, so einsam und unbehaust fühlen würde.

42
    Ich kehrte mit stolzgeschwellter Brust und aufgeplustert wie ein Pfau aus Tübingen zurück. Ich blickte aus solcher Höhe auf die Menschheit herab, dass ich mich verwundert fragte, wie der Rest der Welt im Staub zu meinen Füßen leben konnte. Bis ich in der Bar der Fakultät einen Kaffee trinken ging.
    »Hey, hallo.«
    Sie war noch hübscher geworden. Ich hatte mich neben sie gesetzt, ohne sie zu bemerken.
    »Hey, wie geht’s?«
    O ja, viel hübscher. Die Gereiztheit, mit der sie mir zu begegnen pflegte, war seit einigen Monaten einer sanfteren Tonart gewichen. Vielleicht weil sie genug davon hatte. Vielleicht weil es ihr gutging.
    »Gut. Und dir? In Deutschland ist es ja prima gelaufen, was?«
    »Ja.«
    »Aber ich finde Der ästhetische Wille besser. Bedeutend besser.«
    Ein Schlückchen Kaffee. Mir gefiel diese prinzipielle Erklärung.
    »Ich auch. Aber verrat es niemandem.«
    Schweigen. Ich nahm ein Schlückchen, sie nahm ein Schlückchen.
    »Du bist sehr gut«, sagte sie nach einer Weile.
    »Wie bitte?«
    »Wie ich es sage: Du bist

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