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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Dreißig Meter weiter fanden sie das Gittertor, das offen stand, und Sara verbiss sich ein nervöses Auflachen, als hätte sie Skrupel, im Haus der Toten loszuprusten. Sie gingen bis zum allerletzten Grab, und Sara las neugierig den Namen.
    »Wer sind die beiden?«, fragte der Kommandant ohne Sterne.
    »Deutsche Widerstandskämpfer.«
    Der Kommandant trat heran, um sie aus der Nähe zu betrachten. Der Mann war mittleren Alters und sah eher nach einem Büroangestellten als nach einem Partisanen aus, und sie wirkte wie eine brave Hausfrau.
    »Wie habt ihr es bis hierher geschafft?«
    »Lange Geschichte. Wir brauchen Sprengstoff.«
    »Wo zum Teufel kommt ihr her, und für wen zum Teufel haltet ihr euch?«
    »Himmler fährt nach Ferlach.«
    »Wo ist das?«
    »Bei Klagenfurt. Gleich hier auf der anderen Seite der Grenze. Wir kennen uns aus in der Gegend.«
    »Und?«
    »Wir wollen ihm einen bombastischen Empfang bereiten.«
    »Wie denn?«
    »Indem wir ihn in die Luft sprengen.«
    »Das wird er sich nicht gefallen lassen.«
    »Wir wissen, wie wir es anstellen müssen.«
    »Ihr wisst nicht, wie ihr es anstellen müsst.«
    »Doch. Weil wir bereit sind zu sterben, um ihn umzubringen.«
    »Wer, habt ihr gesagt, seid ihr?«
    »Das haben wir nicht gesagt. Die Nazis haben unsere Widerstandsgruppe entdeckt und dreißig Genossen hingerichtet. Unser Anführer hat sich im Gefängnis das Leben genommen. Wir, die wir noch übrig sind, wollen, dass alle diese Helden nicht umsonst gestorben sind.«
    »Wer war euer Anführer?«
    »Herbert Baum.«
    »Ihr gehört zur Gruppe von …«
    »Ja.«
    Zaudernder Blick des Kommandanten ohne Sterne zu seinem Adjutanten mit dem blonden Schnauzbart.
    »Wann soll dieser Besuch Himmlers stattfinden?«
    Sie studierten den selbstmörderischen Plan gründlich; ja, das konnte klappen, es konnte durchaus klappen. Daraufhin gaben sie ihnen eine großzügige Ration Dynamit und schickten zur Überwachung Danilo Janicek mit. Da sie jeden Mann brauchten, vereinbarten sie, dass Janicek nach fünf Tagen zur Gruppe zurückkehren sollte, ob die Operation stattgefunden hatte oder nicht. Und Janicek stirbt auf gar keinen Fall mit euch.
    »Das ist gefährlich«, wehrte sich Danilo Janicek, der von dem Auftrag alles andere als begeistert war.
    »Ja, aber wenn es hinhaut …«
    »Ich habe meine Zweifel.«
    »Das ist ein Befehl, Janicek. Nimm noch jemanden zur Rückendeckung mit.«
    »Den Pfarrer. Ich brauche breite Schultern und hohe Treffsicherheit.«
    Und so kam es, dass Drago Gradnik wie ein krošnjar fröhlich durch die Gassen von Jelendol zog, nur dass er bis über die Ohren mit Sprengstoff beladen war, statt mit hölzernen Löffeln und Tellern hausieren zu gehen. Die Lieferung erreichte sicher ihr Ziel. Ein spindeldürrer Mann empfing sie in einer dunklen Garage in der Waidischerstraße und bestätigte ihnen, der Besuch Himmlers in Ferlach finde in zwei Tagen statt.
    Niemand konnte sich erklären, wie es zu dem Unglück kam. Die Aktivisten der Herbert-Baum-Gruppe können es sich noch immer nicht erklären. Jedenfalls hatten Danilo und der Pfarrer am Vorabend des entscheidenden Tages die Sprengladungen vorbereitet.
    »Es war instabiles Material.«
    »Nein. Es wird bei Militäroperationen eingesetzt. Es war gewiss nicht instabil.«
    »Ich bin sicher, es schwitzte. Ich weiß nicht, ob du weißt, dass Dynamit, wenn es schwitzt …«
    »Ich weiß. Aber das Material war in Ordnung.«
    »Dann waren es Stümper.«
    »Das glaube ich nicht. Aber es ist wohl die einzige Erklärung.«
    Jedenfalls waren um drei Uhr morgens die Rucksäcke fertig gepackt, mit denen sich die beiden Selbstmordattentäter zusammen mit Himmler in die Luft jagen wollten, als Danilo müde und gereizt sagte, fass das nicht an, verdammt noch mal, und der Pfarrer, erschöpft und verärgert über den Ton des anderen, den Rucksack, den sie soeben mit Sprengstoff gefüllt hatten, etwas zu nachdrücklich auf den Boden setzte. Es gab einen Lichtblitz, einen Knall, in der dunklen Garage wurde es für eine Zehntelsekunde taghell, dann explodierte sie, und mit den Glasscherben, Dachziegeln und Trümmern flogen auch Fetzen von Danilo und Pfarrer Gradnik durch die Luft.
    Als die militärischen Besatzungsmächte versuchten, den Vorfall zu rekonstruieren, fanden sie nur die Überreste zweier Menschen, von denen einer riesige Füße hatte. Und zwischen dem Schrott, den Eingeweiden und Blutlachen förderten sie die um einen dicken Hals hängende Erkennungsmarke des

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