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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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stattdessen bin ich ein hinfälliger Greis geworden, als hinge ich an meinem Leben.«
    »Sie haben sich gut gehalten.«
    »Dummes Geschwätz. Mein Körper will nicht mehr. Und eigentlich müsste ich seit über fünfzig Jahren tot sein.«
    »Wozu braucht der Dämlack noch eine Geige, wenn er im Grunde nur sterben will. Das widerspricht sich doch.«
    »Es war meine Entscheidung, Bernat. Und jetzt ist es vorbei.«
    »Du gemeiner Lump. Sag mir, wo dieser verfluchte Kretin ist, und ich werde ihn überreden, dass …«
    »Es ist aus. Ich habe keine Storioni mehr. Und ich habe das Empfinden …, etwas zur Gerechtigkeit beigetragen zu haben. Ich fühle mich gut. Mit zweijähriger Verspätung.«
    »Ich fühle mich grässlich. Und ich sehe schon, der verfluchte Kretin bist du.«
    Bernat setzte sich hin, sprang wieder auf. Er war außer sich. Dann fragte er:
    »Was heißt mit zweijähriger Verspätung?«
    Der Alte setzte sich. Seine Hände zitterten leicht. Er legte sie auf den schmutzigen Lappen, der noch immer exakt gefaltet vor ihm auf dem Tisch lag.
    »Haben Sie nie an Selbstmord gedacht?«, fragte ich im Tonfall eines Arztes, der wissen will, ob dem Kranken der Kamillentee schmeckt.
    »Wissen Sie, wie es kam, dass Berta die Geige kaufen konnte?«, erwiderte der Alte.
    »Nein.«
    »Die ist doch gut genug, Matthias, mein Schatz. Damit komme ich schon zurecht.«
    »Ja, natürlich kannst du die alte Geige benutzen und kommst damit zurecht. Aber ich finde, es ist die Sache wert. Meine Familie kann die Hälfte der Summe beisteuern.«
    »Ich möchte keine Schulden bei deiner Familie haben.«
    »Es ist auch deine Familie, Berta. Warum kannst du es nicht annehmen, wenn …«
    An dieser Stelle schritt meine Schwiegermutter ein. Das war zu der Zeit, als sie noch nicht kränkelte. In der Zeit zwischen den Kriegen, als das Leben mit Macht zurückkehrte und Musiker Musik machen konnten, statt in Schützengräben zu verrotten. Die Zeit, als Berta Alpaerts stundenlang eine unerschwingliche Storioni probierte, eine Geige mit schönem, klarem, vollem Klang, die Jules Arcan ihr zu einem äußerst unvernünftigen Preis anbot. Es war genau an dem Tag, als Trude, die zweite, ein halbes Jahr alt wurde. Juliet war noch nicht auf der Welt. Es war Abendessenszeit, und zum ersten Mal, seit wir zusammenlebten, war meine Schwiegermutter nicht zu Hause, und niemand hatte das Essen gerichtet, als wir von der Arbeit heimkamen. Während Berta und ich uns notdürftig behalfen, kehrte meine Schwiegermutter zurück und legte einen dunklen, wundervollen Geigenkasten auf den Tisch. Ich weiß noch, wie Berta mich fragend ansah und ich keine Antwort wusste.
    »Mach es auf, Tochter«, sagte meine Schwiegermutter.
    Berta traute sich zuerst nicht, und ihre Mutter ermunterte sie:
    »Ich komme von Jules Arcan.«
    Da stürzte Berta auf den Kasten zu und klappte ihn auf. Alle beugten wir uns darüber, und Vial zwinkerte uns zu. Meine Schwiegermutter fand, sie sei in unserem Haus gut versorgt, und darum könnten ihre Ersparnisse ebenso gut dazu dienen, ihrer Tochter einen Herzenswunsch zu erfüllen. Die arme Berta war zwei Stunden lang sprachlos vor Überraschung, unfähig, die Geige zu berühren oder gar in die Hand zu nehmen, als fühlte sie sich ihrer nicht würdig, bis Amelietje, unsere große, die noch sehr klein war, mit ihrem jettschwarzen Haar, sagte, los, Mama, ich will hören, wie sie klingt. Und wie schön meine Berta sie zum Klingen brachte … wie schön … Die gesamten Ersparnisse meiner Schwiegermutter steckten darin. Alles. Und noch etwas, das sie uns nie verraten wollte, ich vermute, sie hatte eine Wohnung verkauft, die sie in Schoten besaß.
    Der Mann schwieg, und sein Blick schien sich jenseits der bücherbedeckten Wand zu verlieren. Und als zöge er das Fazit aus der ganzen Geschichte, sagte er, es hat mich viele Jahre gekostet, den Weg zu Ihnen zu finden, zu Bertas Geige, Mijnheer Ardefol.
    »Das beweist gar nichts, Adrià, verdammt. Der kann dir doch irgendeinen Schmus aufgetischt haben, kapierst du das nicht?«
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Adrià neugierig.
    »Mit Geduld und der Hilfe von Detektiven. Die haben mir versichert, dass Ihr Vater Spuren hinterlassen hatte, wo er ging und stand. Er wirbelte immer viel Staub auf, wenn er sich bewegte.«
    »Das ist viele Jahre her.«
    »Ich habe viele Jahre geweint. Bis jetzt war ich zu bestimmten Dingen nicht imstande, unter anderem, Bertas Geige zurückzuholen. Und dann habe ich noch einmal

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