Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
zwei Jahre gebraucht, um Sie endlich zu besuchen.«
    »Vor zwei Jahren haben zwei windige Geschäftemacher Ihren Namen mir gegenüber erwähnt.«
    »Das entsprach nicht meinen Anweisungen. Sie sollten die Geige lediglich orten.«
    »Sie wollten den Verkauf vermitteln«, erinnerte sich Adrià weiter.
    »Gott bewahre mich vor Vermittlern. Mit solchen Typen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.« Er blickte Adrià direkt in die Augen. »Ich habe nie an Kauf oder Verkauf gedacht.«
    Adrià sah ihn reglos an. Der Alte näherte sein Gesicht demseinen, bis zwischen ihnen beiden kein Platz mehr für Vermittler war.
    »Ich bin nicht gekommen, um Ihnen etwas abzukaufen, sondern um etwas zurückzuholen.«
    »Er hat dich reingelegt, Adrià. Du hast dich von einem gerissenen Scharlatan reinlegen lassen. Ein so intelligenter Mensch wie du …«
    Da Adrià keine Antwort gab, sprach der Alte weiter:
    »Nachdem ich Sie ausfindig gemacht hatte, wollte ich Sie zunächst kennenlernen. Ich bin alt genug, es nicht mehr eilig zu haben.«
    »Warum wollten Sie mich kennenlernen?«
    »Um zu prüfen, ob ich Sie für Ihr Verhalten zur Rechenschaft ziehen muss.«
    »Ich darf vorausschicken, dass ich mich schuldig fühle für alles.«
    »Deshalb habe ich Sie studiert, bevor ich zu Ihnen kam.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich habe Der ästhetische Wille gelesen und das andere, das dicke, die Geschichte des … des … «
    Er schnippte mit den Fingern, als würde das seinem altersschwachen Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
    » … des europäischen Denkens «, ergänzte Adrià sehr bemüht, sich seinen Stolz nicht anmerken zu lassen.
    »Genau. Und eine Sammlung von Artikeln, der Titel … fällt mir gerade nicht ein. In den letzten Monaten habe ich das alles noch einmal gelesen, wie ein Besessener. Aber lassen wir das lieber, denn …«
    Er griff sich an die Stirn, um anzudeuten, dass er keinen klaren Kopf hatte.
    »Und warum?«
    »Ich weiß es nicht genau. Weil ich letztlich Achtung vor Ihnen empfunden habe, nehme ich an. Und weil die Detektive mir versichert haben, dass Sie nichts zu tun haben mit …«
    Ich wollte ihm nicht widersprechen. Ich hatte nichts zu tun mit …, aber ich hatte viel mit meinem Vater zu tun. Wahrscheinlich wäre es geschmacklos gewesen, ihn jetzt zuerwähnen, also hielt ich den Mund. Ich kam lediglich auf die Frage zurück, warum wollten Sie meine Texte studieren, Senyor Alpaerts?
    »Ich habe zu viel Zeit. Und beim Versuch, das Böse wiedergutzumachen, habe ich viele Fehler begangen. Den ersten, als ich glaubte, das Grauen würde verschwinden, wenn ich mich versteckte. Und den schlimmsten, indem ich aus mangelnder Voraussicht weiteres Grauen verursacht habe.«
    Er sprach weitere zwei Stunden, ohne dass mir einfiel, ihm ein Glas Wasser anzubieten. Allmählich verstand ich, dass seine tiefe Seelenqual auf ein konfuses Durcheinander von Geschichten zurückging, die die Wunden noch vertieften und immer wieder zum Bluten brachten.
    Matthias Alpaerts hatte kurz nach dem Mittagessen meine Wohnung betreten, es mochte zwei oder Viertel nach zwei gewesen sein. Bis neun Uhr abends rührten wir uns, abgesehen von ein paar Toilettengängen, nicht von der Stelle. Inzwischen ließen die Fenster nur noch die Dunkelheit der Straße und die huschenden Reflexe der Autoscheinwerfer herein. Wir sahen uns an, und ich bemerkte, dass ich fast am Verhungern war.
    Weil es schon so spät war, machten wir kurzen Prozess: grüne Bohnen, Kartoffeln und Zwiebeln, einfach in Wasser gekocht. Und ein Omelett. Während ich das Essen zubereitete, bat er, noch einmal auf die Toilette gehen zu dürfen, und ich entschuldigte mich, ein so unaufmerksamer Gastgeber zu sein. Matthias Alpaerts winkte ab und eilte ins Bad. Als der Schnellkochtopf zu brodeln begann, ging ich zurück ins Arbeitszimmer und legte die Geige auf den Tisch. Ich betrachtete sie eingehend und machte ein Dutzend Fotos mit deiner historischen Kamera, die noch an demselben Platz lag, wo du sie zurückgelassen hattest, bis der Film voll war. Decke, Boden, Zargen, Schnecke und Wirbel, den Steg und ein paar Nahaufnahmen von der Randeinlage. Als ich mittendrin war, kam Matthias Alpaerts aus dem Bad zurück und sah mir schweigend zu.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich, ohne mich umzudrehen,weil ich gerade versuchte, das Laurentius Storioni Cremonensis me fecit durch ein F-Loch zu fotografieren.
    »In meinem Alter muss man aufpassen. Nichts von Bedeutung.«
    Ich legte die Geige wieder in den

Weitere Kostenlose Bücher