Das Schweigen des Sammlers
Schrank und sah Matthias Alpaerts in die Augen.
»Wie kann ich wissen, dass Sie mir die Wahrheit sagen? Wie kann ich wissen, ob Sie wirklich Matthias Alpaerts sind?«
Er holte einen kaum leserlichen Ausweis mit seinem Foto aus der Tasche und reichte ihn mir.
»Ich bin ich, wie Sie sehen.« Er nahm mir den Ausweis wieder ab. »Dafür, dass ich die Wahrheit sage, kann ich Ihnen keinen Beweis liefern, fürchte ich.«
»Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich mich vergewissern muss«, sagte Adrià und dachte dabei mehr an Sara und daran, wie sie sich freuen würde, wenn ich den Mut aufbrächte und die Geige zurückgäbe.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch vorlegen könnte …«, sagte Alpaerts ein wenig erschrocken, während er den Ausweis wieder in der Brieftasche verstaute. »Ich heiße Matthias Alpaerts und bin leider Gottes der alleinige Eigentümer dieser Geige.«
»Das glaube ich nicht.«
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen noch sagen soll. Wie Sie sich denken können, besitzen wir keinerlei Dokument … Sogar die Familienfotos waren weg, als ich nach Hause zurückkam. Sie hatten alles verwüstet. Sie hatten meine Erinnerungen zerstört.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Ihnen misstraue«, sagte ich, obwohl ich das eigentlich nicht hatte sagen wollen.
»Das ist Ihr gutes Recht«, entgegnete er. »Aber ich werde alles tun, um dieses Instrument wiederzubekommen. Für mich stellt es die Verbindung zu meiner Geschichte und der meiner Frauen dar.«
»Ich verstehe Sie, im Ernst. Aber …«
Er schaute mich an, als tauchte er aus dem Brunnen seiner Erinnerungen auf, und sein Gesicht war todtraurig.
»Ihnen das alles zu erzählen, bedeutet für mich, noch einmal durch die Hölle zu gehen. Ich wünschte, es wäre nicht vergebens gewesen.«
»Verständlich. Aber auf der Urkunde, die sich in meinem Besitz befindet, steht nicht Ihr Name als der des früheren Eigentümers.«
»Nein?« Es klang so befremdet, so perplex, dass er mir beinahe leidtat.
Sie verfielen für eine Weile in Schweigen. Der Gemüsedunst aus der Küche drang allmählich bis zu ihnen.
»Ach so! Ja, natürlich!«, fuhr er plötzlich auf. »Da muss der Name meiner Frau stehen. Wieso bin ich darauf nicht gleich gekommen?«
»Und Ihre Frau heißt?«
»Hieß«, korrigierte er mich, grausam gegen sich selbst. »Sie hieß Berta Alpaerts.«
»Nein, mein Herr. Auch das ist nicht der Name auf dem Dokument.«
Wir verstummten. Im Grunde bereute ich es, mit dieser verzweifelten Feilscherei angefangen zu haben. Doch Adrià schwieg weiter. Da schnalzte Matthias Alpaerts plötzlich mit der Zunge und sagte, klar doch, meine Schwiegermutter hatte sie gekauft!
»Wie hieß Ihre Schwiegermutter?«
Er überlegte einen Moment, als hätte er Mühe, sich einer so einfachen Sache zu entsinnen. Seine Augen glänzten, als er sagte, sie hieß Netje de Boeck.
Netje de Boeck. Netje de Boeck … Der Name, den mein Vater mir aufgeschrieben hatte und den mein Gewissen mich nie vergessen lässt. Und nun stellte sich heraus, dass diese Netje de Boeck eine kränkliche Schwiegermutter gewesen war.
»Man hat dich betrogen.«
»Halt den Mund, Bernat. Für mich ist in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen.«
»Du gottverdammtes Arschloch.«
Netje de Boeck, wiederholte der alte Mann. Ich weiß nur, dass die Geige mit uns in Birkenau ankam wie ein weiteresFamilienmitglied. Im Zug hatte meine Schwiegermutter sie in den Armen gehalten wie ein Enkelkind. Es war so kalt, dass einem sogar die Gedanken einfroren. Mühsam zwängte ich mich zu dem Platz durch, wo sie neben einer anderen alten Frau saß. Ich spürte Amelias Händchen, das sich in mein Hosenbein krallte, während sie mir durch den vollgestopften Waggon folgte.
»Mama, warum hast du sie mitgenommen?«
»Damit man sie uns nicht stiehlt. Sie gehört Berta.« Netje de Boeck war eine resolute Frau.
»Mama, aber wenn …«
Sie sah mich mit ihren schwarzen Augen an und sagte, Matthias, es herrschen schändliche Zeiten, siehst du das nicht? Sie haben mir nicht einmal Zeit gelassen, meinen Schmuck einzupacken. Aber diese Geige werden sie mir nicht wegnehmen. Wer weiß, ob sie …
Und sie blickte wieder geradeaus. Wer weiß, ob sie uns nicht eines Tages ernähren wird, hatte meine Schwiegermutter wohl sagen wollen. Und ich wagte nicht, ihr die Geige zu entreißen und auf den verdreckten Boden des Waggons zu schmettern und ihr zu sagen, sie solle sich gefälligst um Amelia kümmern, denn die Kleine
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