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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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als dich der höllische Iktus traf und die bbeschissene Hirnblutung einsetzte, hätte ich dich vom Boden aufgehoben, zum Bett getragen und Dalmau, das Rote Kreuz, die Rettungswache und Medicus Mundi alarmiert, und sie hätten dich gerettet, es war meine Schuld, dass ich zum Zeitpunkt des Anfalls nicht bei dir war, und die Nachbarn sagen, du seist noch einmal auf den Treppenabsatz hinausgegangen, denn deine Tasche stand schon drin, du warst drei oder vier Stufen hinuntergefallen und sie hatten dich aufgehoben, und Frau Doktor Real hat mir gesagt, zuerst hätten sie die akute Lebensgefahr gebannt, und jetzt würden sie nachsehen, ob du dir irgendetwas ausgerenkt oder vielleicht eine Rippe gebrochen hast, aber zumindest haben sie dein Leben gerettet, und eines Tages wirst du aufwachen und sagen, ich könnte einen Kaffee vertragen, wiedamals, als du das erste Mal zu mir zurückkamst. Nach der ersten Nacht mit dir im Krankenhaus, Lauras Geruch noch immer am ganzen Körper, fand ich im Flur deine Reisetasche vor und stellte fest, dass du alles wieder mitgebracht hattest, womit du abgereist warst, und seitdem möchte ich glauben, du seist für immer zurückgekehrt. Und ich schwöre, ich hörte deine Stimme sagen, ich könnte einen Kaffee vertragen. Sie sagen, wenn du aufwachst, würdest du dich an nichts erinnern. Nicht einmal an deinen Treppensturz. Die Mundós aus dem Stockwerk unter uns hatten es gehört und Hilfe geholt, während ich mit Laura vögelte und ein Telefon klingelte, das ich nicht abnehmen wollte. Und tausend Jahre später erwachte Adrià.
    »Hat sie dir gesagt, dass sie nach Hause will?«
    Die Antwort kam nicht sofort. Zögerte Max, oder erinnerte er sich nicht mehr?
    »Ich weiß es nicht. Mir hat sie nichts gesagt. Sie hat plötzlich ihre Tasche gepackt und ist verschwunden.«
    »Was hat sie die ganze Zeit vorher gemacht?«
    »Sie hat gezeichnet und ist im Garten spazieren gegangen und hat aufs Meer geschaut, immerzu aufs Meer geschaut …«
    Es war nicht Max’ Art, die Worte zu wiederholen. Er war sehr betroffen.
    »Aufs Meer geschaut?«
    »Ja.«
    »Ich wüsste gern, ob sie zu mir zurückkommen wollte, oder …«
    »Das ist doch jetzt unwichtig.«
    »Nein. Für mich ist es sehr wichtig. Weil ich das Gefühl habe, sie wollte tatsächlich zurückkommen.«
    Mea culpa.
    Adrià verbrachte einen stillen Nachmittag mit dem erschütterten Max, der noch immer nicht fassen konnte, was geschehen war. Und als ich am folgenden Tag zu dir kam, brachte ich dir deine Lieblingsblumen mit.
    »Was ist denn das?«, fragte Dora und rümpfte die Nase, kaum dass sie mich damit sah.
    »Gelbe Gardenien.« Adrià zögerte. »Die mag sie am liebsten.«
    »Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.«
    »Es sind die besten Blumen, die ich ihr mitbringen kann. Sie haben sie viele Jahre lang bei ihrer Arbeit begleitet.«
    Dora betrachtete aufmerksam das kleine Bild.
    »Vom wem ist das?«, fragte sie.
    »Von Abraham Mignon. Siebzehntes Jahrhundert.«
    »Dann ist es sehr wertvoll, oder?«
    »Ja, sehr. Deshalb habe ich es ihr mitgebracht.«
    »Hier ist es nicht sicher. Nehmen Sie es wieder mit heim.«
    Statt auf sie zu hören, nahm Professor Roig den Strauß Gardenien und stellte ihn in die Vase, die er mit der Wasserflasche auffüllte.
    »Ich habe ihr gesagt, ich passe darauf auf.«
    »Ihre Frau muss hierbleiben. Vermutlich für mehrere Monate.«
    »Ich werde jeden Tag kommen. Ich werde den ganzen Tag hier verbringen.«
    »Sie müssen auch Ihr eigenes Leben weiterleben. Sie können nicht den ganzen Tag hier verbringen.«
    Den ganzen Tag konnte ich nicht bei ihr verbringen, aber ich blieb täglich viele Stunden und erkannte, dass ein stummer Blick schlimmer verwunden kann als ein scharfes Messer; entsetzlich, Gertruds Blick. Ich fütterte sie, und sie sah mir in die Augen und schluckte brav die Suppe. Und dabei sah sie mir in die Augen und klagte mich wortlos an.
    Das Schlimmste ist die Ungewissheit; es ist schrecklich, nicht zu wissen, ob … Sie sieht dich an, und du kannst ihren Blick nicht deuten. Klagt sie mich an? Möchte sie über ihren furchtbaren Kummer sprechen und kann nicht? Will sie mir sagen, wie sehr sie mich hasst? Oder vielleicht auch, dass sie mich liebt und mich bittet, sie zu retten? Meine arme Gertrud steckt in einem Brunnen, und ich kann sie nicht herausholen.
    Alexandre Roig besuchte sie jeden Tag und blieb lange bei ihr, sah sie an, ließ sich von ihrem Blick verwunden, tupfteihr den Schweiß von der Stirn und

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