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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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frischer Luft zu versorgen und um Vergebung zu bitten. Die Tage, in denen ich versucht habe, den Schmerz zu lindern, den ich verursacht hatte. Unser Kreuzweg – vor allem deiner, verzeih, ich will dich nicht beleidigen, aber auch der meine – hat aus mir einen anderen Menschen gemacht. Früher hatte ich Interessen. Jetzt gibt es dafür keinen Anreiz mehr, und ich hänge den ganzen Tag nur meinen Gedanken nach, während du daliegst, als würdest du friedlich schlafen. Was wolltest du zu Hause? Bist du zurückgekommen, um mich zu umarmen oder zu beschimpfen? Wolltest du mich abholen oder nur mehr Wäsche holen, weil du an das achte Arrondissement dachtest? Ich hatte dich angerufen, daran musst du dich doch noch erinnern, und Max hatte mir gesagt, du wolltest nicht ans Telefon kommen. Ja, ja, ich weiß, das mit Laura; verzeih, aber das macht alles nur schmerzlicher. Du hättest gar nicht zurückkommen müssen, du hättest niemals gehen dürfen, weil wir uns niemals wegen einer Scheißgeige hätten streiten dürfen. Ich schwöre dir, dass ich sie ihrem Eigentümer zurückgeben werde, sobald ich weiß, wer es ist. Mit einem Gruß von dir, Liebste. Hörst du mich? Irgendwo habe ich noch den Zettel, auf den du mir seinen Namen geschrieben hast.
    »Gehen Sie schlafen, Senyor Ardèvol«, sagte Dora, die Krankenschwester mit der Hornbrille.
    »Der Arzt hat gesagt, ich soll mit ihr sprechen.«
    »Sie haben den ganzen Tag auf sie eingeredet. Der armen Sara dröhnt bestimmt schon der Kopf.«
    Sie kontrollierte den Tropf, regulierte den Zufluss und blickte schweigend auf den Monitor. Ohne ihn anzusehen, fragte sie:
    »Worüber reden Sie?«
    »Über alles.«
    »Sie haben ihr in zwei Tagen tausend Geschichten erzählt.«
    »Kennen Sie das nicht, dass Ihnen jedes Schweigen leidtut, das zwischen Ihnen und dem Menschen geherrscht hat, den Sie lieben?«
    Doras Blick glitt prüfend durch das Zimmer, dann sah sie ihn an und sagte, sie täten uns allen einen Gefallen, wenn Sie jetzt schlafen gingen und morgen wiederkämen.
    »Sie haben mir nicht geanwortet.«
    »Darauf habe ich keine Anwort.«
    Adrià Ardèvol schaute auf Sara.
    »Und wenn sie aufwacht?«
    »Dann rufen wir Sie an, keine Sorge. Sie wird sich hier nicht wegrühren.«
    Er wagte nicht zu sagen, und wenn sie stirbt, denn das war undenkbar, jetzt, da im September die Ausstellung der Zeichnungen von Sara Voltes-Epstein eröffnet würde.
    Und zu Hause redete ich weiter mit dir und versuchte, mich zu erinnern, was ich dir alles erzählt hatte. Und einige Jahre später schreibe ich dir in aller Eile, damit du nicht endgültig stirbst, wenn ich nicht mehr da bin. Es ist alles Lüge, wie du weißt. Aber in alldem liegt auch eine große und tiefe Wahrheit, die niemand jemals wird leugnen können. Das sind wir, du und ich. Das bin ich mit dir, Licht meines Lebens.
    »Heute war Max hier«, sagte Adrià. Und Sara schwieg, als wäre es ihr gleichgültig.
    »Hallo, Adrià.«
    Adrià hatte gedankenverloren Sara angeschaut und wandte den Kopf, als Max Voltes-Epstein mit einem absurden Strauß Rosen in der Tür stand.
    »Hallo, Max.« Er nickte zu den Rosen. »Das wäre nicht nötig …«
    »Sie liebt Blumen.«
    Dreizehn Jahre habe ich mit dir zusammengelebt, ohne zu wissen, dass du Blumen liebst. Ich schäme mich. DreizehnJahre, ohne zu bemerken, dass du jede Woche einen frischen Strauß in die Vase im Flur gestellt hast. Nelken, Gardenien, Lilien, Rosen, was auch immer. Jetzt habe ich plötzlich dieses Bild vor Augen, und es fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht.
    »Leg sie dort hin, ja, danke.« Und mit einer unbestimmten Geste in Richtung Tür: »Ich frage gleich nach einer Vase.«
    »Ich kann heute Nachmittag hierbleiben. Ich habe es mir so eingerichtet, falls … du dich mal ein bisschen ausruhen willst.«
    »Ich kann sowieso nicht schlafen.«
    »Du siehst aus, als könntest du es brauchen … Du siehst sehr schlecht aus. Du solltest dich ein paar Stunden hinlegen.«
    Lange standen die beiden Männer da und betrachteten Sara, jeder in seine eigene Geschichte versunken. Max dachte, warum habe ich sie nicht nach Hause gebracht, dann wäre sie nicht allein gewesen. Aber wie hätte ich das ahnen sollen, wie hätte ich das ahnen sollen. Und in Adriàs Kopf hämmerte der Gedanke, wäre ich nicht mit Laura ins Bett gegangen, hätte ich zu Hause an Llull, Vico und Berlin gearbeitet und das Rsrsrsrsrsrsrs gehört, ich hätte die Tür geöffnet, du hättest deine Reisetasche abgestellt, und

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