Das Schweigen des Sammlers
dass ich Senyor Berenguer frage, dem ist nicht zu trauen, und er soll seine schmutzigen Finger herauslassen. Wo waren wir?
Alexandre Roig hielt ihr den Löffel an die Lippen. Einige Sekunden lang hielt Gertrud den Mund geschlossen und sah ihm nur in die Augen. Na, komm, mach den Mund auf, sagte ich, um diesen Blick nicht ertragen zu müssen. Gott sei Dank öffnete sie endlich den Mund, und ich konnte sie mit der warmen Brühe und ein paar Nudeln füttern, und ich dachte, wahrscheinlich sei es das Beste, so zu tun, als hätte ich nicht gehört, was sie tags zuvor zu Dora gesagt hatte, als sie glaubte,ich sei nicht zu Hause, und sagte nur, Gertrud, ich liebe dich, warum sprichst du nicht mit mir, was ist los mit dir, alle sagen, du sprichst, wenn ich nicht da bin, warum, was hast du gegen mich. Doch Gertrud öffnete lediglich den Mund. Professor Roig gab ihr noch zwei Löffel und sah ihr in die Augen.
»Gertrud. Sag mir, was los ist. Sag mir, was du denkst.«
Einige Tage später war Alexandre Roig zu der Einsicht gelangt, dass er diese Frau nicht bedauerte, sondern Angst vor ihr hatte. Es tut mir leid, dich nicht bedauern zu können, aber so etwas kommt vor. Ich bin verliebt, Gertrud, und ich habe das Recht auf ein neues Leben, und du wirst mich nicht daran hindern, weder indem du mein Mitleid erregst, noch indem du mir drohst. Du warst eine energische Frau, die immer ihren Kopf durchsetzen wollte, und jetzt bekommst du den Mund nur noch auf, damit man dir einen Löffel Suppe hineinschiebt. Und bist zum Schweigen verurteilt. Und zum Estnisch sprechen. Wie willst du jetzt deinen Martial und deinen Livio lesen? Doktor Dalmau, der Schwachkopf, meint, das käme häufig vor, das mit der Regression. Und der beunruhigte Alexandre Roig beschloss, künftig besonders wachsam zu sein: Das ist keine Regression, das ist Bosheit. Sie tut es, um mich zu quälen … Sie will mich nur quälen! Wenn sie mich in Schwierigkeiten bringen will, werde ich das nicht zulassen. Aber sie will nicht, dass ich weiß, was sie im Schilde führt. Und ich weiß nicht, wie ich ihr Spiel vereiteln soll. Ich weiß nicht, wie. Ich hatte die perfekte Lösung gefunden, aber sie hat es sich nicht gefallen lassen. Eine perfekte, aber waghalsige Lösung, denn ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, rechtzeitig aus dem Auto zu kommen.
»Waren Sie nicht angeschnallt?«
»Doch. Ich denke schon. Ich weiß es nicht.«
»Der Gurt ist weder überdehnt noch gerissen.«
»Wahrscheinlich. Ich weiß nicht, ich war … Der Wagen machte einen ungeheuren Sprung, die Tür flog auf, und ich war draußen.«
»Wollten Sie sich retten?«
»Nein, nein. Ich wurde hinausgeschleudert. Als ich auf derErde lag, sah ich das Auto gerade noch abstürzen, und dann war es verschwunden, und ich hörte sie nur Saaaaandreeeee schreien.«
»Der Wagen ist drei Meter tief gefallen.«
»Für mich war er wie vom Erdboden verschluckt. Und dann bin ich, glaube ich, ohnmächtig geworden.«
»Rief sie: Sandre?«
»Ja, warum?«
»Warum glauben Sie nur, dass Sie ohnmächtig geworden sind? Wissen Sie es nicht?«
»Nein …, ich bin durcheinander. Wie geht es ihr?«
»Schlecht.«
»Wird sie überleben?«
Dann rückte der Inspektor mit dem heraus, was er am meisten fürchtete, und sagte, ich weiß nicht, ob Sie gläubig sind, aber hier ist ein Wunder geschehen; der Herr hat Ihre Gebete erhört.
»Ich bin nicht gläubig.«
»Ihre Frau wird nicht sterben. Allerdings …«
»O Gott.«
»Ja.«
»Was genau wollen Sie, Senyor Ardèvol?«
Ich brauchte eine Weile, um meine konfusen Gedanken zu ordnen. Die Stille in Pau Ullastres Werkstatt half mir, mich zu beruhigen. Und schließlich sagte ich, diese Geige wurde während des Zweiten Weltkriegs gestohlen. Von einem Nazi. Ich glaube, sie wurde in Auschwitz konfisziert.
»Donnerlittchen.«
»Ja. Die Umstände spielen jetzt keine Rolle, aber Tatsache ist, dass sich diese Geige seit vielen Jahren im Besitz meiner Familie befindet.«
»Und Sie wollen sie zurückgeben«, griff ihm der Geigenbauer vor.
»Nein! Oder ja, ich weiß es nicht. Aber ich möchte wissen, wem sie abgenommen wurde. Wer der frühere Besitzer war. Und dann werde ich weitersehen.«
»Wenn der frühere Besitzer in Auschwitz gelandet ist …«
»Gut. Aber er hat doch sicher Verwandte.«
Pau Ullastre nahm die Geige und begann einige Takte einer Partita von Bach zu spielen, ich erinnere mich nicht mehr, welche es war. Die dritte? Und ich fühlte mich schäbig, weil ich
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