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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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habe.«
    »Zufall. Ich versichere Ihnen, das ist reiner Zufall.«
    Bernat kehrte zu seinem Freund unter den Glyzinien zurück und sagte, verzeih mir, Adrià, ich bin sehr bedrückt, weil …
    Adrià sah ihn schräg von der Seite an.
    »Ist das gut oder schlecht?«, fragte er, ein wenig beunruhigt.
    Bernat dachte, mein armer Freund, dein ganzes Leben lang hast du argumentiert und nachgedacht, und jetzt kannst du nur noch eine Frage über die Moral formulieren. Ist das gut oder schlecht. Als ob das Leben sich darauf beschränkte: Böses zu tun oder nicht. Vielleicht hat er ja recht. Ich weiß es nicht.
    Sie saßen noch eine Weile schweigend beisammen, dann las Bernat mit lauter, deutlicher Stimme weiter, und nun bin ich am Ende angekommen. In den letzten Monaten habe ich unermüdlich geschrieben, Rückschau auf mein Leben gehalten; ich habe meine Memoiren noch beenden können, aber jetzt fehlt mir die Kraft, sie zu ordnen, wie es sich gehört. Der Arzt hat mir erklärt, dass mein Licht nach undnach verlöschen wird, ohne dass man vorhersagen kann, wie schnell, weil das von Fall zu Fall verschieden ist. Solange ich noch ich selbst bin, haben wir beschlossen, dass die Dings … die … na, die eben, den ganzen Tag hier bleibt, denn es heißt, ich bräuchte jemanden, der auf mich aufpasst. Und bald werden wir noch zwei weitere Leute einstellen müssen, sodass rund um die Uhr jemand da ist. Siehst du, wofür ich das Geld aus dem Verkauf des Ladens ausgebe? Ich habe beschlossen, mich nicht von meinen Büchern zu trennen, solange ich noch einen Funken Verstand habe. Wenn der erloschen ist, wird mir alles egal sein, fürchte ich. Und da du nicht da bist, um dich um mich zu kümmern, und Lola Xica schon vor Jahren davongelaufen ist … musste ich alle Vorbereitungen selbst treffen. Im Pflegeheim von Collserola, in der Nähe meines geliebten Barcelona, wird man meinen Körper versorgen, wenn ich schon in Sphären weilen werde, von denen ich noch nicht weiß, ob sie finster sind. Man hat mir versichert, dass ich die Lektüre nicht vermissen werde. Irgendwie entbehrt es ja nicht einer gewissen Ironie: Da habe ich nun mein Leben lang versucht, jeden Schritt, den ich tue, bewusst zu tun; mein Leben lang habe ich meine Schuld mit mir herumgeschleppt, meine große Schuld, und dazu die Schuld der ganzen Menschheit, und nun werde ich am Ende gehen, ohne zu wissen, dass ich gehe. Adieu, Adrià, sage ich mir sicherheitshalber schon jetzt. Ich sehe mich in dem Arbeitszimmer um, in dem ich so viele Stunden verbracht habe. »Verweile noch einen Augenblick, betrachten wir noch einmal die vertrauten Ufer und die Dinge, die wir wohl nie wiedersehen werden … Wir wollen versuchen, sehenden Auges in den Tod einzugehn …«, sagte Kaiser Hadrian vor seinem Tod. Seelchen, freundliches, wanderlustiges Seelchen, Sara, Gefährtin meines Leibes: Du bist als Erste in die bleichen, herben, kalten Gefilde hinabgestiegen. Was für eine Schweinerei. Ich unterbreche das Schreiben, gehe ans Telefon und wähle die Handynummer meines Freundes: Seit Monaten habe ich nichts von ihm gehört, seit ich mich zurückgezogen habe, um dir zu schreiben.
    »Hey, ich bin’s Adrià. Wie geht’s? Sag bloß, du hast schon geschlafen! Nein: Wie spät ist es denn? Was? Vier Uhr mor…? Oje, tut mir leid! So was … Hör mal, ich wollte dich um einen Gefallen bitten und etwas mit dir bereden. Ja, ja. Nein, wenn du morgen kommen könntest … also heute, meine ich. Besser, du kommst zu mir. Ja klar, wann es dir passt. Nein, nein, ich gehe nicht aus dem Haus. Ja, Ja. Danke.«
    Soeben habe ich das hic et nunc erklärt, von dem ich lebe. Die letzten Zeilen habe ich im Präsens schreiben müssen, und das macht mir große Angst. Ich bin fast am Ende meines Textes angelangt. Draußen färben die Finger der Morgenröte den noch dunklen Himmel. Meine Hände sind starr vor Kälte. Ich lege die beschriebenen Seiten, das Tintenfass und das Schreibgerät zur Seite und sehe aus dem Fenster. Wie kalt es ist und wie einsam. Die Brüder aus Gerri werden den Pfad heraufkommen, den ich werde sehen können, sobald die Morgenröte den Sieg davongetragen hat. Ich betrachte das Allerheiligste und denke, dass es nichts Traurigeres gibt, als ein Kloster aufgeben zu müssen, in dem der Lobpreis Gottes nie verstummt war. Ich kann nicht umhin, mich für diese Katastrophe verantwortlich zu fühlen, Liebste. Ja, ich weiß. Wir alle müssen schließlich sterben … Du aber wirst dank der Großzügigkeit

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