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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Zaudern auch mir einen zweiten. Das erste Mal in meiner bbeschissenen Existenz, dass ich ihn nicht stibitzen musste.
    »Und krümelt nicht auf den Boden.«
    Die beiden Jungen zogen sich ins Kinderzimmer zurück, und unterwegs drängte mich Bernat, was ist es denn, jetzt sag schon.
    »Ein großes Geheimnis.«
    In meinem Zimmer schlug ich das Sammelalbum mit den Rennwagenbildern genau in der Mitte auf, sah aber nicht in das Album, sondern Bernat gespannt ins Gesicht. Zum Glück fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf.
    »Nein!«
    »Ja.«
    »Es gibt ihn also doch.«
    »Ja.«
    Es war der Dreiteiler von Fangio am Steuer des Ferrari. Du wirst es nicht glauben, meine Liebe: der Dreiteiler von Fangio.
    »Darf ich es mal anfassen?«
    »Aber ganz vorsichtig.«
    So war Bernat: Wenn ihm etwas gefiel, musste er es anfassen. Wie ich. So war er immer. Er ist heute noch so. Wie ich. Voller Genugtuung genoss Adrià den Neid seines Freundes, während dieser mit den Fingerspitzen das Bild von Fangio berührte und dann auch den roten Ferrari, den schnellsten aller Zeiten.
    »Wir waren uns doch einig, dass es ihn gar nicht gibt … Wie hast du den ergattert?«
    »Beziehungen.«
    Als kleiner Junge war ich oft so. Darin versuchte ich wohl, meinem Vater nachzueifern. Oder vielleicht Senyor Berenguer. Die Beziehungen in diesem Fall waren ein höchsterfolgreicher Sonntagvormittag an den Trödelständen des Markts von Sant Antoni. Dort findet man alles, einschließlich der vom Schicksal vergessenen Dinge, von Josephine Bakers Unterwäsche bis zu Gedichten von Josep Maria López-Picó für Jeroni Zanné. Und den Dreiteiler von Fangio, den angeblich noch kein Kind in Barcelona besaß. Wenn mein Vater mich dorthin mitnahm, sah er immer zu, dass ich beschäftigt war, um sich dann mysteriösen Unterhaltungen mit Männern zu widmen, die ständig einen Zigarettenstummel im Mund hatten, die Hände nicht aus den Taschen nahmen und unruhig um sich blickten. Und er notierte Geheimnisse in ein Büchlein, das er anschließend wieder in seiner Jacke verschwinden ließ.
    Nachdem Bernat einen tiefen Seufzer ausgestoßen hatte, klappten die beiden Jungen das Album wieder zu und warteten geduldig im Zimmer. Über irgendetwas mussten sie reden, und Bernat hätte Adrià gern die Frage gestellt, die ihm keine Ruhe ließ, die er aber nicht stellen durfte, weil man ihm zu Hause gesagt hatte, das Thema schneidest du am besten nicht an, Bernat. Und schließlich fragte er doch: »Warum gehst du eigentlich nicht zur Messe?«
    »Ich bin freigestellt.«
    »Von wem? Von Gott?«
    »Nein, von Pater Anglada.«
    »Ach … Aber warum gehst du nicht?«
    »Ich bin kein Christ.«
    »Sag bloß!« Verwirrtes Schweigen. »Kann man das, kein Christ sein?«
    »Ich nehme es an. Ich bin keiner.«
    »Aber was bist du dann? Buddhist? Japaner? Kommunist? Oder was sonst?«
    »Ich bin gar nichts.«
    »Kann man nichts sein?«
    Als Kind habe ich nie eine Antwort auf diese Frage gewusst, weil das Thema Beklemmungen in mir auslöste. Kann man nichts sein? Ich wird nichts sein. Werde ich wie die Null sein, die weder eine natürliche noch eine ganze noch einerationale noch eine reelle noch eine komplexe Zahl ist, sondern das neutrale Element in der Summe der ganzen Zahlen? Ich fürchte, nicht einmal das: Wenn ich nicht bin, werde ich auch nicht mehr gebraucht, sofern ich überhaupt jemals gebraucht wurde.
    »Howgh. Jetzt komme ich nicht mehr mit.«
    »Bring ihn nicht durcheinander.«
    »Nein, wenn es nach mir ginge …«
    »Dann halt den Mund, Schwarzer Adler.«
    »Ich glaube an den Großen Geist Manitu, der die Prärie mit Büffeln übersät, den Menschen Regen und Schnee bringt und die wärmende Sonne bewegt, die er zur Schlafenszeit verschwinden lässt, der den Wind heulen lässt, den Fluss durch sein Bett leitet, das Auge des Adlers auf seine Beute lenkt und dem Krieger, der sich bereit macht, für sein Volk zu sterben, Mut verleiht.«
    »Hallo, Adrià, wo bist du?«
    Adrià blinzelte und sagte, hier bei dir, wir reden über Gott.
    »Manchmal bist du weit weg.«
    »Ich?«
    »Meine Eltern sagen, das kommt daher, weil du so klug bist.«
    »So ein Blödsinn. Ich hätte so gern …«
    »Fang nicht schon wieder damit an.«
    »Sie lieben dich.«
    »Lieben dich deine Eltern nicht?«
    »Nein, sie berechnen mich. Sie messen meinen Intelligenzquotienten, überlegen, mich auf eine Spezialschule in der Schweiz zu schicken, wollen mich drei Schuljahre in einem absolvieren lassen.«
    »Klasse, Mann!« Er sah

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