Das Schweigen des Sammlers
und unsterblichem Ruhm. Neptun war ihm ganz und gar nicht gewogen gewesen, und so hatte er an Bord der Santa Maria die Fische gefüttert, und sein Gesicht, das eigentlich die gesunde Bräune eines Bauernburschen aus der Hochebene von Vic besaß, hatte eine geisterhaft bleiche Färbung angenommen.
Hochwürden Josep Torras i Bages höchstpersönlich hatte entschieden, dass dieser kluge, dem Studium zugeneigte, fromme, wohlerzogene und für sein jugendliches Alter erstaunlich gebildete Seminarschüler eine kostbare Blume war, die fruchtbaren Boden brauchte. Im bescheidenen Gärtlein des Priesterseminars von Vic würde sie verkümmern, und damit wäre die Gottesgabe einer ungewöhnlich hohen natürlichen Intelligenz verschwendet.
»Ich will nicht nach Rom, Monsenyor. Ich möchte mich ganz dem Studium widmen, w…«
»Genau darum schicke ich dich nach Rom, mein Sohn. Ich kenne unser Seminar gut genug, um zu wissen, dass jemand von deiner Intelligenz hier seine Zeit verschwendet.«
»Aber Monsenyor …«
»Gott hat dich zu Höherem berufen. Deine Lehrer haben mich inständig darum gebeten.« Hochwürden wedelte leicht theatralisch mit dem Papier in seinen Händen.
»Geboren auf dem Landgut Can Ges in der Ortschaft Tona als Sohn von Andreu und Rosalia im Schoße einer mustergültigen Familie, zeigte er schon im zarten Alter von sechs Jahren die schulische Leistung und Entschlossenheit, die ihn für eine kirchliche Laufbahn geradezu prädestinierten, undwurde demzufolge in die erste Lateinklasse von Monsenyor Jacint Garrigós aufgenommen. Dort machte er so rasche und bemerkenswerte Fortschritte, dass er im Rhetorikkurs die berühmte ›Oratio Latina‹ halten durfte (eine bedeutende Auszeichnung, die nur den besten und sprachbegabtesten Schülern zuteil wird, wie Monsenyor aus eigener Erfahrung wissen, da wir das Vergnügen hatten, Euch ehedem zu unseren Schülern zu zählen), obgleich er mit elf Jahren eigentlich zu jung, vor allem aber zu schmächtig für diese Aufgabe war. So konnten die Zuhörer zwar Fèlix Ardèvols geschliffene Ausdrucksweise in der Sprache Vergils bewundern, doch musste der große Rhetoriker dazu auf einem recht hohen Schemel stehen, um vom Publikum, unter dem sich auch sein Bruder und die stolzen Eltern befanden, überhaupt gesehen zu werden. Desgleichen brillierte Fèlix Ardèvol i Guiteres in den Fächern Mathematik, Philosophie und Theologie und war bald anderen berühmten Schülern dieses Seminars vergleichbar, als da wären die hochgeschätzten Padres Jaume Balmes i Urpía, Antoni Maria Claret i Clarà, Jacint Verdaguer i Santalò, Jaume Collell i Bancells, Professor Andreu Duran und natürlich Ew. Bischöfliche Gnaden, Oberhaupt unserer geliebten Diözese.
Unsere Dankbarkeit gilt auch unseren Vorfahren, wie der Herr uns in Ecclesiastes 44, 1 ermahnt: Laudemos viros gloriosos et parentes nostros in generatione sua. Und so glauben wir, Euch mit Fug und Recht die inständige Bitte antragen zu dürfen, unserem Seminarschüler Fèlix Ardèvol i Guiteres das Studium der Theologie an der Pontifica Universitas Gregoriana zu gestatten.«
»Du hast keine Wahl, mein Sohn.«
Fèlix Ardèvol wagte nicht zu sagen, dass er, ein Bewohner des Festlands, geboren und aufgewachsen fern des Meeres, Schiffe hasste. Und weil ihm der Mut fehlte, gegen den Bischof aufzubegehren, hatte er diese grauenvolle Reise schließlich angetreten. In einem Winkel im Hafen von Ostia erbrach er zwischen halb vermoderten Holzkisten, in denenes von Ratten wimmelte, seine Ohnmacht und fast alle seine Erinnerungen an die Vergangenheit. Einen Augenblick lang stand er noch keuchend da, dann richtete er sich auf, wischte sich mit dem Taschentuch den Mund ab, strich sich energisch die Reisesoutane glatt und richtete den Blick auf seine glänzende Zukunft. Immerhin war er, wie einst Äneas, nach Rom gelangt.
»Dieses Zimmer ist das beste im ganzen Wohnheim.«
Verwundert drehte Fèlix Ardèvol sich um. Auf der Schwelle stand ein gedrungener, heftig schwitzender Student in Dominikanerkutte und lächelte ihn freundlich an.
»Félix Morlin aus Liège«, sagte der Unbekannte und tat einen Schritt in die Zelle.
»Fèlix Ardèvol aus Vic.«
»Oh! Ein Namensvetter!«, rief der andere lachend und streckte ihm die Hand hin.
Sie mochten sich vom ersten Augenblick an. Morlin sagte Fèlix noch einmal, dass er das begehrteste Zimmer im ganzen Wohnheim abbekommen habe, und erkundigte sich, wer sein Gönner sei. Er habe keinen, erwiderte
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