Das Schweigen des Sammlers
habe ihm erzählt, dass sich Heifetz trotz seiner Vorbehalte gegen einen Auftritt in einem faschistischen Staat von Maestro Toldrà schließlich habe überreden lassen. Adrià, der in den meisten Dingen des Lebens noch völlig unbedarft war, sprach nach einer ermüdenden Unisono-Stunde mit Maestro Manlleu darüber, und der dachte einen Moment nach und sagte dann, er habe noch nie einen kaltschnäuzigeren, arroganteren, abscheulicheren, dümmeren, eingebildeteren, ekelhafteren, abstoßenderen und hochnäsigeren Geiger erlebt als Jascha Heifetz.
»Aber spielt er gut, Meister?«
Maestro Manlleu starrte blicklos auf die Partitur. Die Geige in der Hand, zupfte er geistesabwesend ein Pizzicato und schaute geradeaus. Nach einer sehr langen Pause sagte er:
»Er ist die Perfektion.«
Als ihm aufging, dass diese Worte aus seinem tiefsten Inneren hervorgebrochen waren, schränkte er sofort ein:
»Nach mir ist er der beste lebende Violinist.« Leichter Schlag mit dem Bogen auf den Notenständer. »Los, machen wir weiter.«
Beifall brandete auf. Er war deutlich herzlicher als sonst, weil sich die Menschen in einer Diktatur angewöhnen müssen, die Dinge zwischen den Zeilen zu sagen, durch Händeklatschen und verstohlene Gesten zu kommunizieren, während sie zu dem Mann im Trenchcoat hinüberschielen, dem mit dem dünnen Oberlippenbart, vermutlich einer von der Geheimpolizei, Vorsicht, achte mal drauf, er applaudiert fast gar nicht. Die Leute hatten gelernt, sich auf diese Weise zu verständigen, indem sie versuchten, die Angst aus der Angst heraus zu bekämpfen. Ich konnte das nur erahnen, denn ich hatte keinen Vater, meine Mutter ging in ihrem Laden auf und verfolgte lediglich meine Geigenfortschritte mit Argusaugen, und Lola Xica wollte über so etwas nicht reden, denn ihr anarchistischer Vetter war im Krieg ermordet worden, und sie hielt sich von dem verminten Gelände der Straßenpolitik lieber fern. Nach und nach wurden die Lichter gelöscht, das Publikum begann zu klatschen, Maestro Toldrà betrat die Bühne und schritt gemächlich zum Dirigentenpult. Im Halbdunkel konnte ich sehen, wie Sara etwas auf ihren Programmzettel schrieb, dann reichte sie ihn mir und bat mich um meinen, damit sie auch wieder einen hatte. Ein paar Zahlen. Eine Telefonnummer! Ich Trottel gab ihr mein Programm, ohne meine Nummer daraufzuschreiben. Der Beifall verebbte. Ich bemerkte, dass Bernat, der schweigend zu meiner anderen Seite saß, jede meiner Bewegungen beobachtete. Es wurde still.
Toldrà begann mit einem Coriolano, den ich noch nie gehört hatte und der mir sehr gut gefiel. Zum zweiten Stück betrat er die Bühne Hand in Hand mit Jascha Heifetz, vermutlich, um diesem zu versichern, dass er an seiner Seite war. Heifetz jedenfalls begrüßte das Publikum mit einem kaltschnäuzigen, arroganten, abscheulichen, dummen, eingebildeten, ekelhaften, abstoßenden und hochnäsigen Kopfnicken. Er bemühte sich nicht im Geringsten, sein grimmiges Gesicht zu verbergen, und gestattete sich noch gut drei Minuten, um seiner Entrüstung Herr zu werden, während Maestro Toldrà dastand, den Blick ins Leere gerichtet, und geduldig wartete, bis der andere bereit war. Und dann begannen sie. Ich weiß noch, dass ich während des gesamten Konzerts aus dem Staunen nicht herauskam. Und dass ich beim Andante assai hemmungslos weinte, ganz dem physischen Wohlbehagen ausgeliefert, das mir der in die Orchestertriolen eingebettete Zweivierteltakt der Geige bescherte, und überwältigt von der Art, wie das Thema vom Orchester übernommen und zum Schluss von den Hörnern und einem zurückhaltenden Pizzicato wieder aufgegriffen wurde. Schönheit. Und Heifetz warein warmherziger, bescheidener, zugänglicher, liebenswerter Mann, vollkommen dem Dienst an der Schönheit ergeben, die mich gefangen genommen hatte. Und Adrià glaubte, in Heifetz’ Augen einen verdächtigen Schimmer zu sehen. Bernat, das weiß ich, unterdrückte ein inbrünstiges Schluchzen. Und in der Pause stand er auf und sagte, ich muss ihm die Hand drücken.
»Sie werden dich nicht durchlassen.«
»Ich versuche es.«
»Warte«, sagte Sara.
Sie stand auf und winkte uns, ihr zu folgen. Bernat und ich wechselten einen verständnislosen Blick. Wir gingen die seitlichen Stufen hinauf zur Tür, wo uns der Platzanweiser mit erhobener Hand den Durchgang verweigern wollte, doch Sara deutete lächelnd auf Maestro Toldrà, der sich mit einem der Musiker unterhielt und Sara bemerkt haben musste, denn er wandte
Weitere Kostenlose Bücher