Das Schweigen des Sammlers
zäh. Sie hatten Mühe, sich zu den beiden leeren Plätzen fast in der Mitte des Parketts hindurchzudrängen.
»Hallo.«
»Hallo«, sagte Adrià schüchtern, während er sich neben das bildhüsche Mädchen setzte, das ihn lächelnd ansah.
»Adrià? Adrià Ichweißnichtwieweiter?«
Da erkannte er dich wieder. Du trugst keine Zöpfe und sahst aus wie eine richtige Frau.
»Sara Voltes-Epstein!«, sagte er verblüfft. »Was machst du denn hier?«
»Was glaubst du wohl?«
»Nein, ich meine …«
»Ja«, lachte sie und legte ihre Hand so unbefangen auf seine, dass er zuckte, als durchführe ihn ein Stromschlag. »Ich lebe jetzt in Barcelona.«
»Darf ich vorstellen …«, sagte er und blickte von einem zur anderen, »Bernat, ein Freund von mir. Sara.«
Bernat und Sara nickten sich höflich zu.
»Ein starkes Stück, das mit dem Plakat …«, bemerkte Adrià mit seinem außerordentlichen Gespür für Fettnäpfchen. Sara machte nur eine vage Geste und vertiefte sich ins Programm. Ohne den Blick zu heben, erkundigte sie sich: »Wie war dein Konzert?«
»Das in Paris?«, erwiderte Adrià leicht verlegen. »Gut. Normal.«
»Liest du noch?«
»Ja. Und du, zeichnest du noch?«
»Ja. Ich habe bald eine Ausstellung.«
»Wo?«
»Im Gemeindehaus von …« Sie lächelte. »Nein, nein. Ich will nicht, dass du kommst.«
Adrià wusste nicht, ob sie es ernst meinte oder scherzte. Er war so erstarrt, dass er nicht wagte, ihr ins Gesicht zu sehen, und nur scheu lächelte. Das Licht erlosch, das Publikum begann zu klatschen, und Eduard Toldrà betrat die Bühne, und sie hörte Bernats Schritte, die aus dem anderen Teil der Wohnung näher kamen. Xènia schaltete den Rechner auf Stand-by und stand vom Schreibtischstuhl auf. Sie tat, als betrachtete sie die Buchrücken, und als Bernat ins Zimmer trat, setzte sie eine gelangweilte Miene auf.
»Entschuldige«, sagte er und schwenkte das Handy.
»Noch mehr Probleme?«
Er runzelte die Stirn. Offenbar hatte er keine Lust, darüber zu reden. Oder er hatte gelernt, Xènia gegenüber an sich zu halten. Sie setzten sich und versanken für einige Sekunden in unbehaglichem Schweigen, lächelten versonnen, ohne sich anzusehen.
»Wie fühlt man sich also als schreibender Musiker?«, fragte Xènia und schaltete den winzigen Rekorder auf dem runden Tischchen ein.
Er starrte sie blicklos an und dachte an ihren flüchtigen Kuss vor zwei Tagen, so dicht an seinem Mund.
»Ich weiß nicht. Es hat sich einfach so ergeben. Ganz unausweichlich.«
Das war allerdings eine gewaltige Lüge. In Wahrheit ergibt sich alles unerträglich langsam, mutwillig und unberechenbar, so glühend du auch hoffst, es möge dich schlagartig überkommen, denn Bernat schrieb seit vielen Jahren, und seit vielen Jahren sagte ihm Adrià, was er schreibe, sei uninteressant, farblos, vorhersehbar, überflüssig; letzten Endes ein Text, Bernat, den kein Mensch braucht. Und wenn du mich nicht verstehen willst, rutsch mir den Buckel runter.
»War’s das schon?«, fragte Xènia leicht irritiert. »Alles hat sich einfach so und unausweichlich ergeben? Punkt? Soll ich den Rekorder ausschalten?«
»Wie bitte?«
»Wo bist du?«
»Hier bei dir.«
»Nein.«
»Tja, das ist das postkonzertante Trauma.«
»Und was ist das?«
»Ich bin über sechzig und Geiger von Beruf, ich weiß, dass nicht viel schiefgehen kann und mir inmitten des Orchesters nichts passiert. Aber ich wollte Schriftsteller werden, verstehst du?«
»Das bist du doch.«
»Nicht so einer, wie ich sein wollte.«
»Schreibst du derzeit an etwas?«
»Nein.«
»Nein?«
»Nein. Warum?«
»Nur so. Was wolltest du denn für einer werden?«
»Einer, der die Menschen bezaubert.«
»Aber mit der Geige …«
»Wir sind fünfzig Musiker. Ich bin kein Solist.«
»Aber du spielst doch manchmal Kammermusik.«
»Manchmal.«
»Und warum bist du kein Solist?«
»Dazu taugt nicht jeder. Ich habe weder das Format noch die Nerven. Ein Schriftsteller ist Solist.«
»Hast du ein Problem mit deinem Ego?«
Bernat Plensa nahm das Aufnahmegerät, drehte und wendete es, fand den Knopf und schaltete es aus. Er stellte es zurück auf den Tisch, während er sagte, ich bin die Mittelmäßigkeit auf zwei Beinen.
»Du glaubst doch wohl nicht diesem Idioten von …«
»Diesem Idioten und all den anderen, die die Liebenswürdigkeit besessen haben, es mir durch die Presse mitzuteilen.«
»Kritiker sind nun mal …, du weißt schon.«
»Sind nun mal
Weitere Kostenlose Bücher