Das Schweigen des Sammlers
nie.
»Ich gebe das Geigespielen auf.«
»In Ordnung.«
Und sie las weiter in Caturlas Berichten, die sehr spannend sein mussten. Als Adrià aus dem Zimmer ging, die Seele in kaltem Schweiß gebadet, hörte er, wie seine Mutter die Brille absetzte und, klick-klick, die Bügel zusammenklappte. Gewiss sah sie ihn jetzt an. Adrià wandte sich um. Ja, sie sah ihn an, die Brille in der einen Hand, in der anderen einen Stapel Berichte.
»Was hast du gesagt?«
»Ich gebe das Geigespielen auf. Ich mache den siebten Kurs noch fertig, aber dann ist Schluss.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage.«
»Ich habe mich schon entschieden.«
»In deinem Alter kannst du so etwas nicht entscheiden.«
»Und ob ich kann.«
Mutter legte Caturlas Bericht weg und stand auf. Bestimmt überlegte sie, wie wohl mein Vater mit dieser Aufsässigkeit umgegangen wäre. Für den Anfang bediente sie sich eines leisen, vertraulichen, drohenden Tonfalls.
»Du wirst den siebten machen, dann den achten, und anschließend wirst du die zweijährige Virtuosenausbildung absolvieren, und wenn du so weit bist, wirst du auf die JulliardSchool gehen oder eine andere, die Maestro Manlleu und ich für dich aussuchen werden.«
»Mutter, ich will kein Musikerleben führen.«
»Warum nicht?«
»Damit werde ich nicht glücklich.«
»Wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein.«
»Ich schon.«
»Maestro Manlleu sagt, du bist begabt.«
»Maestro Manlleu verachtet mich.«
»Maestro Manlleu will dich nur anstacheln, weil du manchmal so lahm bist.«
»Mein Entschluss steht fest. Und wenn du dich auf den Kopf stellst«, wagte ich hinzuzusetzen.
Das war eine Kriegserklärung. Aber es ging nicht anders. Ich verließ Vaters Arbeitszimmer, ohne mich umzusehen.
»Howgh.«
»Ja?«
»Du kannst schon mal die Kriegsbemalung auflegen. Schwarz und weiß vom Mund bis zu den Ohren und zwei gelbe Linien von oben nach unten.«
»Mach dich nicht lustig über mich, ich zittere am ganzen Leib.«
Adrià verkroch sich in seinem Zimmer, entschlossen, nicht eine Handbreit nachzugeben. Krieg war Krieg.
In den folgenden zwei Wochen hörte man bei uns zu Hause nur Lola Xicas Stimme, weil sie sich als Einzige bemühte, den Anschein von Normalität zu wahren. Mutter war ständig im Laden, ich in der Universität, und beim Abendessen schwiegen wir uns an und starrten beide auf unsere Teller, während Lola Xicas Blick zwischen uns hin und her wanderte. Es war kaum auszuhalten und so schlimm, dass selbst die Freude darüber, dich wiedergefunden zu haben, für einige Tage von der Geigenkrise überschattet wurde.
Das Gewitter brach an dem Tag los, an dem ich das nächste Mal zu Maestro Manlleu musste. An diesem Morgen richtete meine Mutter, bevor sie in den Laden ging, zum ersten Mal in dieser Woche das Wort an mich. Ohne mich anzusehen, alswäre mein Vater gerade erst gestorben: »Nimm die Storioni mit zum Unterricht.«
Ich erschien also mit Vial bei Maestro Manlleu, und während wir durch den Flur zum Musikzimmer gingen, hörte ich ihn mit schmeichlerischer Stimme sagen, wollen wir doch mal sehen, ob wir dir nicht ein Repertoire zusammenstellen können, an dem du mehr Spaß hast. Einverstanden, mein Junge?
»Wenn ich die siebte Klasse hinter mir habe, höre ich auf mit dem Geigenunterricht. Habt ihr mich alle verstanden? Ich habe andere Prioritäten im Leben.«
»Du wirst es jeden Tag deines Lebens bereuen, die falsche Entscheidung getroffen zu haben.« (Mutter)
»Feigling.« (Manlleu)
»Lass mich nicht im Stich, mein Freund.« (Bernat)
»Degenerierter.« (Manlleu)
»Dabei spielst du besser als ich!« (Bernat)
»Schwuchtel.« (Manlleu)
»Und die vielen Stunden, die du darauf verwendet hast? Soll das alles umsonst gewesen sein?« (Mutter)
»Launischer Zigeuner.« (Manlleu)
»Und was willst du tun?« (Mutter)
»Studieren.« (Ich)
»Das ließe sich doch mit der Geige verbinden, oder nicht?« (Bernat)
»Was studieren?« (Mutter)
»Bastard.« (Manlleu)
»Schwuchtel.« (Ich)
»Pass bloß auf, sonst drehe ich mich um und gehe.« (Manlleu)
»Weißt du überhaupt, was du studieren willst?« (Mutter)
»Howgh.« (Schwarzer Adler, der tapfere Arapaho-Häuptling)
»He, was du studieren willst, habe ich gefragt. Medizin?« (Mutter)
»Undankbarer Kerl.« (Manlleu)
»Mensch, Adrià, komm schon!« (Bernat)
»Geschichte.« (Ich)
»Ha!« (Mutter)
»Was ist?« (Ich)
»Du wirst sterben, vor Hunger und vor Langeweile.« (Mutter)
»Geschichte?!« (Manlleu)
»Ja.«
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